Technologie, die auch in Ossendorf Berge versetzt

Filmemachen als Game

Virtuelles Produzieren — die Zukunft der Visual Effects? Ein Besuch beim Showcase der MMC Studios

Neshe Demir spielt eine Kampfpilotin, die sich nach Absturz in der Wüste aus dem Schleudersitz quält. Durch den Sand robbt sie zu einem Felsen, an dem sie sich aufrichtet — in der Ferne ihr brennendes Flugzeug und ansonsten nur eine weite menschenleere Landschaft. Schleudersitz und Felsen sind klassische Filmrequisiten, Steinwüste und Flugzeug sind virtuelle Realitäten und wurden an Computern generiert. Jetzt flimmern sie in 3D über einen riesigen LED-Screen, auf den die zuletzt für den Bayerischen Filmpreis nominierte Schauspielerin blickt. Mit ihr zwei Dutzend Medienmenschen, die sich zu einem Showcase im Coloneum in Köln-Ossendorf eingefunden haben.

Die MMC Studios sind ein in Europa führender Dienstleister für Shows und Film mit verschiedenen Partnerfirmen. In Studio 32 demonstrieren sie die Zukunft des Filmemachens, die außerdem Fernsehshows verändern werde — so jedenfalls die Prognose. »Virtuelles Produzieren ermöglicht Film- und Fernsehmachern ein ganz neues Arbeiten«, schwärmt Jens Wolf, Geschäftsführer von MMC, der auch bei der Szene mit der in Köln lebenden Neshe Demir Regie geführt hat.

Was das Kino in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt geprägt hat, gerade das große und teure Blockbuster-Kino, waren immer ausgefeiltere Visual Effects. Solche »VFX« entstehen nicht beim eigentlichen Dreh, sondern in der digitalen Postproduktion, wo sie von VFX-Spezialist*innen an Hoch­leistungsrechnern generiert werden. An dieser Stelle sind die Schauspieler*innen längst raus aus der Entstehung des Films — sie haben während der Dreharbeiten in vielen Szenen vor sogenannten Greenscreens agiert. Und was auf diese später einmal projiziert werden soll, können sie nur anhand der Drehbücher und der Regieanweisungen erahnen.

Auch Neshe Demir, Jens Wolf und seine Gäste hätten also noch vor kurzer Zeit nur auf eine grün leuchtende Fläche im Hintergrund des Studios schauen können. Dass dort bereits während des Drehs der ausgearbeitete Bildhintergrund zu sehen ist, stellt eine technische Revolution dar. Diese Entwicklung ermöglicht Schauspieler*innen, Regisseur*innen, Produzent*nnen, das Filmbild schon im Studio vor Augen zu haben. »Das erleichtert es Regisseur*nnen ungemein, am Set ihre Vision zu erklären: Was möchte ich auf der Leinwand sehen und warum? Das lässt sich besser vermitteln«, beschreibt Wolf die Vorzüge der Virtuellen Produktion. Auch für die Schauspielerin Demir liegt der Vorteil auf der Hand: »Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ich auf eine grüne Wand blicke oder auf Bilder, mit denen ich natürlich besser spielen kann.«

Ein weiterer Vorteil des virtuellen Produzierens laut Jens Wolf von MMC: die Flexibilität. »Wenn mir als Regisseur ein Bild nicht gefällt oder ich spontan eine neue Idee habe, lässt sich das sofort am Computer umsetzen. Mit wenig Aufwand kann ich eine andere Stimmung oder auch eine andere Tages- oder Nachtzeit erzeugen. Einzelne Elemente oder ganze Berge lassen sich mühelos versetzen.«

Virtuelles Produzieren sei auch nicht teurer als eine klassische Postproduktion, beteuert Wolf, aber Sender oder andere Geldgeber könnten sich schon ab dem ersten Drehtag die fertigen Ergebnisse, sogenannte Dailies, anschauen. »Potenzielle Finanziers können in einem frühen Stadium der Produktion einbezogen werden, Budgets lassen sich besser kalkulieren, als wenn man sich erst mit dem fertigen Film auf die Suche nach Käufern und Distributionspartnern machen muss.« Obsolet werde die Postproduktion laut Wolf deswegen nicht, sie bleibe ein ganz wichtiger Teil des Geschichtenerzählens.

Wenn Pascal Bußmann über das Virtuelle Produzieren spricht, nennt er es »Welten entwickeln«. Bußmann ist VFX Supervisor bei LAVAlab in Düsseldorf, einem Studio für Visual Effects, das mit MMC kooperiert. Er meint Welten wie jene in der neuen Serie »The Mandalorian«. Der Space Western spielt in George Lucas’ Star-Wars-Universum und wurde von Lucasfilm zum größten Teil an einem virtuellen Set realisiert. Wer kein Abo für Disney+ abschließen möchte, kann im Netz einen Blick auf die Trailer werfen. Man sieht, wie es wirkt, wenn Schauspieler*innen in Computerwelten agieren, die stark an Videogames erinnern. Game-Technologien sind wichtige Elemente des Virtuellen Produzierens. Ben Grossmann, Oscar-prämierter Virtual Production Supervisor des digitalen Remakes von »König der Löwen«, sagt bereits: »Warum nicht auch Filmemachen in Zukunft als Game betrachten, sodass bereits Kindern an ihren Computern mit ihrer kindlichen Fantasie Filme machen können?«

Bevor es so weit ist, sieht Jens Wolf von MMC die Profis gefordert. Er lädt seine Gäste im Coloneum ein, die neue Technologie beherzt und mutig aufzugreifen: »Jetzt muss der kreative Arm der Branche übernehmen, Sender und Produktionsfirmen wollen schließlich auch immer mit den neuesten technologischen Möglichkeiten spielen.« Nicht zuletzt das Showcase in Ossendorf habe die Neugier auf Virtuelle Produktionen in Köln geweckt. Erste Anfragen für bestehende Showformate und aus dem Fiction-Bereich seien bereits eingegangen.