Milieustudie mit unverwechselbarer Bildästhetik

Nina Wu

Midi Z greift in seinem Psycho-Thriller den Weinstein-Skandal auf. Die Heldin hat zu leiden

»Ich halte es nicht mehr aus. Sie nehmen mir nicht nur meinen Körper. Sie nehmen mir auch die Seele«. Diese Worte sind in »Nina Wu«, dem Psycho-Thriller des 1982 in Myanmar geborenen taiwanesischen Filmemachers Midi Z, mehrfach zu hören. Sie stammen aus »Spione der Liebe«, dem Film-im-Film, in dem Schauspielerin Nina Wu die weibliche Hauptrolle übernimmt.

»Natürlichkeit« sei beim Schauspiel das Wichtigste — auch dieser Satz fällt öfter während des Drehs. Dabei ist alles hochstilisiert, was man vom Spionagefilm zu sehen bekommt, der in den 1960er Jahren spielt: die Kostüme, das Make-Up, das Setting, die Posen. Vor allem die wechselnden Stellungen der überaus expliziten Sexszenen, die Nina Wu fast davon abgehalten hatten, die Rolle anzunehmen. Der vermeintliche Naturalismus bei den emotional herausfordernden Szenen ist mit Gewalt erzwungen. Der Regisseur beschimpft und ohrfeigt seine Darstellerin so lange, bis ihre gespielte Verzweiflung einer authentischen weicht. Die Schlussszene auf einem Boot gleicht einem Akt vorsätzlicher Körperverletzung.

Midi Z betont in »Nina Wu« die Gewalt, die seiner Protagonistin am Set von »Spione der Liebe angetan wird, durch Raumtotalen. In ihnen schrumpft sie zum Ornament in einem von Männern gemachten Bild zusammen. Nina Wu wird dirigiert und degradiert, bei einem Treffen mit dem Produzenten soll sie einen Hund spielen und einer Mitbewerberin das Kleid vom Leib reißen. Während sie zum Star aufsteigt, kommt ihr allmählich die Realität abhanden. Erinnerungen und paranoide Angstträume stürzen auf sie ein, eine Konkurrentin verfolgt sie. Ihre komplizierten Familienverhältnisse tragen nicht zur Entspannung bei.

Midi Z und seine Co-Autorin Wu Ke-xi, die auch die Titelrolle spielt, ließen sich für das Drehbuch von den durch den Weinstein-Skandal publik gewordenen systemischen sexuellen Übergriffen inspirieren. Und tatsächlich kann man den Film ab einem bestimmten Zeitpunkt kaum mehr ohne die Folie der #MeToo-Bewegung lesen. Doch je stärker die Wirklichkeitspartikel durchscheinen — die in Hotelzimmern abgehaltenen Castings in »privatem« Rahmen, die Machtspiele des Produzenten, die sexuelle Gewalt —, desto mehr geraten sie in Konflikt mit dem Modus der Überstilisierung. Beim Versuch, die Geschichte einer schwer beschädigten Frau zu erzählen, tut der Film ihr selbst etwas an. Die artifiziellen Bilder sind ein goldener Käfig, aus dem Nina Wu keinen Ausweg findet.

(dto) TWN 2019, R: Midi Z,D: Wu Ke-xi, Vivian Sung, Kimi Hsia,103 Min. Start: 3.9.