Favoriten 2020: Schlafen als Widerstand, Foto: Betty Schiel

Kapitalistischer Scheißalltag

Das Dortmunder Festival »Favoriten« denkt laut über Arbeit und Nicht-Arbeit

Das Festival hat noch nicht stattgefunden, da kommt man bereits ins Staunen. In einem Online-Magazin hat das Kuratorinnen-Team über zwanzig Beiträge gesammelt, frei zugänglich für alle. Das Thema: »While we are working«. Um Arbeit soll es 2020, genau 35 Jahre nach Gründung, beim Favoriten Festival in Dortmund gehen — und um Nicht-Arbeit, wie die künstlerischen Leiterinnen Fanti Baum und Olivia Ebert im Programmheft ankündigen. Zum Einstand liefern sie eine Anti-Produktivitäts-Playlist und wettern gegen die »Morgenroutine als Hilfestellung, einfacher durch den kapitalistischen Scheißalltag zu kommen«.

Ein paar Klicks weiter, man hat noch Slimes Cover von »Ich will nicht werden, was mein Alter ist« im Ohr, landet man bei der Kölner Peformerin Pheline Velhagen. Mit ihrer »Wohnungsbesichtigung« (11.-13.9.), einer interaktiven Live­hörspiel-Installation über das Wohnen als neue soziale Frage, ist sie zum Festival geladen. Vorab liefert sie das für den Deutschlandfunk produzierte Hörspiel »Das Geld der anderen«, eine für Velhagen typische Versuchsanordnung. Einen Monat lang hat sie mit Freund*in­nen das Einkommen so umverteilt, dass alle gleich viel haben. Wie intim ist ein Kontoauszug? Und hört beim Geld wirklich die Freundschaft auf?

Im Zwei-Jahres-Takt findet das Favoriten Festival statt, ausgerichtet als Werkschau der Freien Szene in Nordrhein-Westfalen. Es sei bundesweit das älteste Off-Theater­festival, heißt es von Seiten der Organisator*innen. Fakt ist: Die ausgewählten Stücke sind auch 2020 grandios grundverschieden. Da ist etwa Caner Tekers zwischen Hypermaskulinität und Homoerotik oszillierende Performance »Kırkpınar« (10., 13.9.), bei der zwei eingeölte Ringer mit Büffellederhosen in den Ring steigen wie beim traditionellen Yağlı güreş, dem türkischen Öl-Wrestling. Oder das interaktive »Schlaflabor« des Transnationalen Ensemble Labsa über das Schlafen als Widerstand, als »kompromisslose Unterbrechung der uns vom Kapitalismus geraubten Zeit«, wie es der Kunstkritiker Jonathan Crary schrieb. Und da ist das feministische Kollektiv Swoosh Lieu (10., 11.9.), das mit »6 Inputs, 60 Dimmerplätzen, einem Weitwinkelobjektiv und 33 Umlenkrollen« eine Choreographie über die unsichtbare Arbeit hinter der Bühne zeigt. Lässt es sich proben, ohne produktiv zu sein — und ist das dann schon Arbeit?

Favoriten Festival, 10.-20.9., Dortmund, favoriten-festival.de