Wünscht sich unbekannte Stücke: FAZ-Redakteur Simon Strauß, Foto: Musacchio/Ianniello/Pasqualini

Wider die Dauerbrenner

Das Theater sei einfallslos, findet Simon Strauß und fordert eine Spielplanänderung

Die Theater öffnen wieder und es wird Becket gespielt. »Warten auf Godot«, das Zwei-Personen-Stück, das mit dem spielverweigernden Satz »Nichts zu machen« beginnt, passt zu den Anforderungen der Pandemie. Der Autor selbst hatte in sein Stück geschrieben, dass auf der Bühne anderthalb Meter Abstand zu halten seien. Aber muss es immer ein Klassiker sein? Was wäre etwa, brächte man nun Lotta Lotass’ »Die Sammler« auf die Bühne, das Stück der zeitgenössischen, schwedischen Dramatikerin über zwei Messie-­Brüder, die sich immer tiefer in ihr Labyrinth der angehäuften Dingen zurückziehen. Oder Einar Schleefs »Zigaretten«: In einem Einfamilienhaus sitzt ein Mann, von seiner Frau verlassen und so erschöpft, dass er es nicht einmal bis zum nächsten Zigarettenautomat schafft.

Simon Strauß, Feuilleton-Redakteur der FAZ, wird sich diese Fragen vermutlich auch stellen. Seine Anthologie »Spielplan-Änderung!« ist zu Beginn des Lockdowns erschienen und fordert, vergessene Werke aus ihrem »unverdienten Exil« zu befreien. Strauß’ Vorwurf: Die Theater würden zwar strukturell auf Vielfalt setzen, etwa mit der Besetzung diverser Ensembles, in der Auswahl ihrer Stücke seien sie jedoch völlig einfallslos. Statt literarischer Entdeckungen, gäbe es die immer gleichen »Altprogramme mit ihren Woyzecks, Macbeths und Handlungsreisenden« oder Adap­tionen von Bestseller-Büchern. Ihnen lässt er die Texte entgegen treten, die Autor*innen wie Nino Haratischwili, Dietmar Dath und Daniel Kehlmann ursprünglich für eine FAZ-Serie geschrieben haben.

Dreißig »vergessene« Bühnenstücke stellen sie in dem Sammelband vor. Das ist mitunter inspirierend, etwa wenn Marianna Salzmann, Hausautorin des Maxim-Gorki-Theaters, von Anna Gmeyners »Automatenbüffet« von 1932 schwärmt, oder Verena Lueken das Stück »Frankie und Johnny« von Terrence McNally zum Paradestück des Gender Troubles deklariert. Aber — und das ist die Krux — ganz so vergessen, sind einige dieser Stücke nun nicht. Der Theater heute-Redakteur Franz Wille hat nachgeschaut und zeigt, dass sehr wohl einige von ihnen auf den Bühnen zwischen München und Hamburg inszeniert werden.

Die Debatte über die Originalität der Spielpläne wird also weiter­gehen — und mitten in diese Dis­kussion mischen sich auch die Verleger*innen des Fischer Theaterverlages mit einer neuen For­derung: eine Quote für zeitgenös­sische Dramatik. Junge, frische ­Stücke sollen endlich stärker ins Rampenlicht treten, nicht die alten Schinken, die man alle paar Jahre wieder entstaubt.

Buch: Simon Strauß (Hrsg.): »Spielplanänderung! 30 Stücke, die das Theater heute braucht«, Tropen Verlag, 262 Seiten, 20 Euro