XXL-Screens suggerieren Konzertatmo: Laurie Anderson bei der Arbeit | Foto: Laurin Schmid / Bildkraftwerk

Nicht nur die Leinwand anschreien

Die Bundeskunsthalle Bonn zeigt, was passiert, wenn Bildende Künstler*innen Bands gründen

Eine Ausstellung mit dreizehn Musikauftritten multitalentierter Künstler*innen in Aktion, zu erleben über Projektionen von Konzertmitschnitten und Performances — klingt das vielversprechend? Gar aufregend? Aber schon die erste Station des Rundgangs durch die Schau »Doppelleben — Bildende Künstler*innen machen Musik« in in der Bundeskunsthalle, vorbei an all den Projektionswänden mit Aufnahmen von musizierenden bildenden Künstler*innen, macht neugierig. Sogar ohne Informationen über ihre Werke der bildenden Kunst — und zunächst auch ohne bewegte Bilder.

Da ertönt die Stimme des Bauhauskünstlers Lázló Moholy-Nagy in einer Aufnahme von 1923, der das Grammophon als das »Generalinstrument« preist, das alle Instrumente überflüssig mache. Damit hat er sozusagen das Scratching ins Leben gerufen. Direkt nebenan ertönt wilder Koloraturgesang, eine Komposition des französisch-amerikanischen Malers und Objektkünstlers Marcel Duchamp. Beide Künstler sind Protagonisten der Moderne, einer Epoche, die erstmalig künstlerischen Grenzerweiterungen eine Plattform bot. Mit Sicherheit gab es in der Geschichte vorher schon Künstler*innen mit Musiktalent, nur war deren breite Anerkennung kaum möglich.

Komplexer Rundgang mit Knopf im Ohr

Nach der akustischen Ouvertüre wird der historisch chronologische Ausstellungsrundgang komplexer, sofern sich der/die Besucher*in mit Knopf im Ohr an jeder der großformatigen, von der Decke hängenden oder an der Wand installierten Screens einstöpselt: Ein- oder beidseitig wird man jetzt von flimmerndem Konzertgeschehen, Performativem, mitunter auch mit abstrakten Filmen bespielt.

Etliche Ikonen der experimentellen und modernen Musik haben ihren Auftritt, von denen einige im Rheinland wirkten. John Cage etwa ist mit seinem legendären Fluxus-Auftritt im TV-»Water Walk« (1960) zu sehen, als der US-Künstler und Komponist an einem Tisch, auf dem sich allerlei Objekte türmen, einfach mal einige in erratischen Abständen runterschubst und das Aufprallgeräusch mit dem gluckenden Wassergeräusch aus einer Blechgießkanne zu bester Klangkunst konterkariert. Frühe reduktive Musik liefert etwa der französischen Maler, Bildhauer und Performer Yves Klein mit seiner Symphonie »Monoton-Silence« (1947/1960), in der die knisternde Stille des Konzertsaales das minimalistische Klangfeld unterbricht.

Natürlich kann man heute — auch bei der älteren Generation von doppelbegabten Künstlern — recht viele Auftritte per You Tube sehen. Dort jedoch fehlt ihre künstlerische Verortung, wie sie in der Bonner Präsentation gegeben ist. So sind aus den 50er und 60er Jahren sprachexperimentelle wie sprachkritische Performances des Wiener Kreises zu sehen, unter anderem von dem Schriftsteller und Komponisten Gerhard Rühm oder dem Kunsttheoretiker, Kurator und Performer Peter Weibel, dessen Band überraschend popmusikalische Anklänge hatte.

Punk als Zeitenwende

In den späten 70er Jahren, als Punk, New Wave oder auch Noise aufkamen, traten immer mehr bildende Künstler*innen in Bands auf — und dies bewusst dilettantisch. In Berlin fand gar das »Fes­tival Genialer Dilletanten« statt (mit dieser beabsichtigten Falschschreibung). Der Maler Martin Kippenberger hat mit einem ekstatisch-erratischen Tanz und ähnlich geartetem Gesang den Auftritt in seiner The Alma-Band, begleitet unter anderem von seinen Künstlerkollegen Markus und Albert Oehlen. Wie hier zeigt die Ausstellung meist Konzert- und Performance-Mitschnitte, einige Künstler*innen verzichten auf eine Live-Übertragung und machen ihre Musik zu einem abstrakten Film oder gar zu einem feststehenden Motiv hörbar.

Gegen Ende des Musikparcours, angekommen zwischen den 90er und 00er Jahren, erweitert sich der Fächer der Stilarten deutlich, gibt es aber auch weniger wirklich anarchische Auftritte. Dafür jedoch selbstreflektive Präsentationen wie die des isländischen Ragnar Kjartansson, der mit seiner Band Trabant die Rolle der Rockkünstler*innen mit einem abgedreht theatralischen Konzertauftritt persifliert, das mit im Wasser stehenden und von Wasser berieselten Musiker*innen erfrischt.

Die starke Präsenz österreichischer Künstler*innen und Veranstaltungen erklärt sich damit, dass die Ausstellung komplett vom mumok (museum moderner kunst stiftung ludwig wien) übernommen wurde. So ist nur ein NRW-Konzert zu sehen, die Malerin Katharina Grosse im Synthesizer­dialog mit dem Musiker Stefan Scheider (To Rococo Rot) in der Düsseldorfer Kunsthalle. Der Ausstellung hätte die Präsentation weiterer Doppelbegabungen aus der enorm produktiven rheinländischen Szene der Klang- und Medienkunst gut getan. Etwa des inzwischen in Berlin lebenden Malers, Komponisten und Sängers Chris Newman, der Kolumbianerin ­Claudia Robles oder das Elektronik-Klangkunst-Crossover der aus China stammenden Echo Ho.

Bundeskunsthalle Bonn, bis 18. Oktober, Programm und Infos auf bundeskunsthalle.de

Unter den beteiligten Künstler*innen sind u.a. Laurie Anderson, Jutta Koether, Yoko Ono oder auch Captain Beefheart, Albert Oehlen, Carsten Nicolai.