»Radikale Neujustierung nötig«

Carmen Losmann über ihre Erkenntnisse aus der Arbeit am Dokumentarfilm »Oeconomia«

Frau Losmann, für »Oeconomia« haben Sie mehrere Jahre hochkomplexe Prozesse des Finanzwesens erforscht und Experten mit Fragen konfrontiert. Was hat das mit ihrer Psyche angestellt?

Ich habe 2012 ein Gerd-Ruge-Stipendium für die Entwicklung des Stoffes bekommen, dann knapp zwei Jahre recherchiert und 2017 mit dem Drehen begonnen. Ich war also in versetzten Zeiträumen mit der Materie betraut. Aber ich lebe ja permanent in der kapitalistischen Ökonomie und bin davon durchdrungen. Ich würde also gar nicht sagen, dass ich irgendwann in dieser Welt war und jetzt bin ich wieder draußen. Sondern eher, dass ich den strukturellen Zusammen­hängen von Wirtschaftswachstum und Verschuldung und daraus resultierenden Phänomenen wie wachsender Ungleichheit von großem Privatvermögen und Verarmung mal intensiver, mal weniger intensiv begegnet bin.

Und die mentalen Auswirkungen?

Ich fand das eigentlich sehr erhellend. Ich weiß lieber über die Dinge Bescheid, weil ich dann auch verstehen kann, wofür oder wogegen ich mich im Leben entscheide. Also meiner Psyche geht es besser als davor, würde ich sagen.

Nichtsdestotrotz ist ihnen das ein oder andere Hindernis begegnet. Man bekommt im Film häufiger den Eindruck: Diese Welt riegelt sich ab.

Es gab auch Interviewpartner, die bereit waren, mich und unser Filmteam zu empfangen. Doch es stimmt, es war immer wieder schwierig, überhaupt den Zugang zu bestimmten Fragen zu finden. Beispielsweise habe ich lange Zeit versucht, eine Drehgenehmigung bei der Deutschen Finanzagentur zu bekommen — das ist eine dem Finanzministerium zuarbeitende GmbH, die das gesamte Schuldenmanagement von Deutschland organisiert. Die alleinige Gesellschafterin ist die Bundesrepublik Deutschland. Da wollte ich herausfinden, wie die Staatsschulden praktisch gemacht werden. Ich war sehr lange dran, aber habe dann letztlich eine Absage bekommen. Das hat mir am wenigsten geschmeckt.

Warum?

Weil das vom Bundesfinanzministerium entschieden wurde, einer demokratisch legitimierten Institution. Dass die dort die Schotten dicht machen, das fand ich ernüchternd. Während es mich an anderen Stellen nicht ­wirklich gewundert hat. Die meisten sind privatwirtschaftlich ­organisierte Unternehmen, die ­stehen unter einem hohen Zeit- und Gelddruck. Aus einem rein ökonomischen Interesse bringt denen das ja gar nichts, sich mit irgendwelchen Presseanfragen ­herumzuschlagen.

Waren Sie überrascht über das Irritationspotenzial ihrer Fragen?

Überrascht hat mich, wie spezialisiert und fragmentiert das Expertenwissen an manchen Stellen ist. Dass man sich über grundsätzliche, vielleicht naiv anmutende Überlegungen gar keine Gedanken macht und diese nicht im Funktions- oder Denkbereich des Einzelnen auftreten. Mir scheint, es gibt ein ideologisches Framing der ökonomischen Wissenschaft, die bestimmte größere oder sich widersprechende Sachverhalte einfach ausklammert oder unsichtbar macht. Das mag einerseits wichtig sein, damit das System als Gesamtmaschine funktionieren kann. Aber ich empfinde das auch als besorgniserregend.

In dem Sinne, wie Sie es auch im Film formulieren?

»Wer kollabiert zuerst: der Kapitalismus oder unser ökologisches System?« Ja, denn wir leben wirklich auf einem begrenzten Planeten. Schon in den 1970ern wurde langsam deutlich, dass es mit diesem grenzenlosen Wachstum — das heißt, wir können uneingeschränkt Profit machen, Vermögen anhäufen und dafür brauchen wir immer wieder neue Kredite, Neuverschuldung und neue Investitionen, also einen neuen Verbrauch von Ressourcen, neue Flughäfen, neue Bürogebäude, neues alles — auf Dauer nicht klappen kann. Wir verbrauchen die ökologischen Grundlagen unseres Seins. Da geht es mit der Fragmentierung von Wissen meiner Meinung nach einfach zu weit.

Was wären Lösungen?

Man muss über eine radikale Neujustierung unserer Produktionsweise nachdenken, die nicht den Profit ins Zentrum ihres Handelns stellt und in der auch eine schrumpfende Wirtschaft möglich ist.

In ihrem letzten Film »Work Hard — Play Hard« (2011) haben Sie sich mit Human-Resource-Management auseinandergesetzt. All das kommt einem heute sehr vertraut vor. Könnte es uns mit den komplizierten Zusammenhängen, wie »Oeconomia« sie darstellt, zukünftig ähnlich gehen?

Ich hoffe es. Wir leben in diesem ökonomischen System, das sich Kapitalismus nennt, und wir sollten verstehen, wie diese Maschine arbeitet. Alles, was im Film gesagt und beschrieben wird, ist öffentlich zugänglich. Jeder kann sich ein eigenes Bild davon machen. Und ich würde mir wünschen, dass diese Hintergründe mehr in unser Alltagsbewusstsein und Allgemeinwissen vordringen.

Ihr Film leistet in dieser Hinsicht eine wichtige Vermittlungsarbeit. Inwiefern haben sich ihre eigenen Alltagshandlungen verändert?

Mein Verhältnis zu Geld ist ein anderes. Ich weiß jetzt, dass mein Geld auch ein Schuldschein ist. Ich komme aus dem schwäbischen Raum und dieses Prinzip der sparsamen schwäbischen Hausfrau kann ich viel leichter verlassen. Es ist für mich nun okay, Geld auch auszugeben, wenn ich es habe.

Die Filmemacherin Carmen Losmann wurde 1978 in Crailsheim, Baden-Württemberg geboren. Sie hat in Köln und England Marketing studiert, bevor sie sich an der Kunsthochschule für Medien Köln im Fachbereich Film einschrieb. Ihr Debütfilm »Work Hard — Play Hard« feierte 2011 auf dem DOK Leipzig Premiere und wurde unter anderem mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. »Oeconomia« erlebte seine Uraufführung im Rahmen der 70. Internationalen Filmfestspiele Berlin in der Sektion Forum. Carmen Losmann lebt und arbeitet in Köln und Templin.