Im Kontext von Jon Mitchell: Le Ren | Foto: Phoebe-Fox

Trauerarbeit

Triple A — Alles Außer Alben #3

EPs von Le Ren, Holly Humberstone und bambi

»Über Songwriting zu reden fühlt sich an wie über Tattoos reden. Man macht etwas öffentlich sichtbar, man zeigt es auf seinem Arm. Und wenn dann jemand fragt, was das Tattoo bedeuten soll, dann ist man schockiert, dass man die erklären soll. Die Entscheidung dafür war ja für einen selbst absolut bedeutend.« Es ist ganz spannend, dass die junge Kanadierin Le Ren ihr Songwriting mit Tattoos vergleicht, denn wir kennen es doch alle: Die Bedeutung von Tattoos wird stets hinterfragt, doch können die Antworten (oder ihr Ausbleiben) kaum den Bedeutungsüberschuss, den sie für den*die Träger*in besitzen auflösen.

Das gilt auch für Songtexte: Während viele Rezipient*innen die Kunst als locker konsumierbare Sinneinheiten serviert bekommen wollen, wo jedem Wort eine festgeschriebene Bedeutung zukommt, verschließt sich die Textgenese solchen schlichten Übersetzungsversuchen. Dieses Missverhältnis zwischen Bedeutung für die Künstler*in und Bedeutung für das Publikum nimmt immer dann Überhand, wenn Texten therapeutische Funktion zukommt. Im Falle von Le Ren ist dies tatsächlich gegeben: Lauren Spear, wie Le Ren bürgerlich heißt, verlor vor zwei Jahren ihren Freund bei einem Autounfall. Ihre Trauerarbeit münzt sie in Musik um, »Morning & Melancholia« ist ein Testament des Verlustes und der Erinnerung.

Nun zeigt das angeführte Eingangszitat, dass sich Spear einige Gedanken um die Kraft von Worten gemacht hat, ihrer Musik hört man an, dass sie sich mit Größen des Songwritings messen will. Der dafür gewählte Folk sucht seine Bezugspunkte nicht in den letzten Jahren, bei Künstlerinnen wie Jessica Pratt, Weyes Blood oder Angel Olsen, sondern greift weiter aus. Nicht nur ob der kanadischen Heimat fühlt man sich stark an die Ikone Joni Mitchell erinnert: Die einfachen Tonfolgen, die bisweilen nicht viel mehr als eine offene Stimmung bräuchten, gekop­pelt mit einer oktavenüberspannen­den Stimme sind in der Nähe Mitchells zu verorten. Altbacken klingt »Morning & Melancholia« gleichwohl nie, selbst wenn »If I Had Wings« direkt aus einem New Yorker Club der 60er aufgenommen scheint. Damit reiht sich Le Ren ein in die positive Entwicklung der letzten Jahre: Singer/Songwriter, Americana, Folk und Indie sind mittlerweile sehr (gender-)durchlässig geworden.

Auch im erweiterten Chart-Spektrum hat man diese Entwicklung erkannt. Der Erfolg solcher Acts wie Florence & The Machine oder neuerdings Jade Bird rückkoppelt nun eben auch auf höherer Ebene — die Britin Holly Humberstone möchte da nun anknüpfen. Ob das gelingt steht derweil auf einem anderen Blatt, denn Humber­stones Style zielt viel stärker als es bei Le Ren der Fall sein mag auf Chartsplätze ab; dennoch kann und muss man der Debüt-EP der 20 Jährigen das Gehör schenken.

Das Video zu »Deep End«, ihrer ersten Singleauskopplung der nun nahenden EP, ist trotz minimalistischer Erzählung, vollgepackt. Ihr eigener Stil bleibt unklar codiert: Einerseits geflochtene Zöpfchen, die von dicken Ketten und Slacker-Hoodie konterkariert werden, andererseits der selbst­bewusste Einsatz von E-Gitarre — im strömenden (Fake-)Regen dreier Gartenschläuche. »I’ll be your medicine if you’ll let me / Give you reason to get out of bed / Sister I’m trying to hold off the light­ning / And help you escape from your head« — das es sich hier um Depressionen dreht, das muss man wohl nicht betonen; dass aber dieser Depression mit schwesterlicher Leidenschaft begegnet wird, ist wirklich stark.  Es ist der Soundtrack für feministische Seminare, die jene Zuneigung seit Jahren thematisieren und der intrasexuellen Konkurrenz entgegensetzen.

Interessanterweise durfte Humberstone schon mit Lewis Capaldi, einer dieser unzähligen Songwriter-Macker, die in den letzten Jahren in Scharen von A&Rs und Vermarktungshengsten auf den Markt geworfen wurden, auf die Bühne. Sie bietet damit auch einem vornehmlich weiblichen Publikum eine Reflexions- und Identifikationsfläche, die aus der Objekthaftigkeit der Angehimmelten (wie bei Capaldi) zu einem selbst­bewussten, künstlerischem Subjekt führt. Denn auch hier scheint sich eine Zeitenwende anzukündigen: Mensch ist es leid, die immer gleichen Geschichten zu hören.

Apropos: Dominic Simper weiß ganz genau welche Storys von wem derzeit erzählt werden. Seit Jahren begleitet Simper Tame Impalas Mastermind Kevin Parker auf den Bühnen dieser Welt. So ist er hautnah Zeuge einer etwas beunruhigenden Evolution: War Tame Impala anfangs ein grobkörniges, hummelwarmes Kiffer-Experiment, das sich durch Psych- und Indie-Mitteln durch die selbstgewählte Außenseiter-Gefühle Parkers kämpfte, rutsch­te man mit der letzten Platte »The Slow Rush« ab — in jenen Limbo aus dem U2 und Coldplay heute bitter grüßen. Von gewissen Popisten noch gefeiert, bleibt vom Charme der Anfangstage nichts mehr übrig — vom Außenseiter zum Produkt. Simper setzt dem seine erste EP unter dem Projektnamen bambi entgegen.

»unfolding« ist weit weg von vollen Stadien und schalen Rockgesten: Inspiriert von der impressionistischen Musikkunst von Motohiko Hamase und Midori Takada, taucht bambi mit seinen Synthesizern ab. Er entdeckt glücklicherweise nicht einen »Neue Meister­schaft«-Gestus — was die Ehrlichkeit seiner EP untermauert —, sondern bloß die ehedem von Parker besungene »Blissness« der Einsamkeit.

Tonträger: Le Ren, »Morning & Melancholia EP« (Secretly Canadian)

Holly Humberstone, »Falling Asleep At The Wheel« Self-Released 

bambi, »unfolding« (Spinning Top Records)