Körperliche Nähe und Seelenverwandtschaft

Niemals selten, manchmal immer

Eliza Hittman schickt ihre Heldinnen auf einen Trip nach New York ohne Freiheitsgefühl

Zwei junge Frauen auf Reisen, am Horizont New York. Vor ihnen zwei Nächte mit wenig Schlaf. Beinahe wirkt Eliza Hittmans »Niemals selten, manchmal immer« wie eine allzu bekannte Teenager-Fantasie: raus aus der Provinz, wenigstens für ein Wochenende, auf der Suche nach sich selbst und der Welt, von Manhattan nach Brooklyn und zurück, mit wenig Geld.

Nun ja, fast: Denn hier ist New York kein Sehnsuchtsort, und der Großstadt-Trip kein Ausdruck jugendlichen Freiheitsdrangs. Autumn ist schwanger und will das nicht sein, aber eine Abtreibung ist in ihrem Heimatstaat nicht ohne elterliche Zustimmung möglich. Zusammen mit ihrer Cousine Skylar büchst sie also aus, ab nach New York zum Schwangerschaftsabbruch und dann schnellstmöglich zurück.

Dass Hittman den Trip in die Metropole vom Reich der Freiheit ins Reich der Zwänge verbannt, ist Ausdruck ihres politischen Programms: Von Beginn an entwirft sie eine Welt, in der junge Mädchen sich ihrer Freiheit beschnitten sehen, weil Männer sich die Freiheit einfach nehmen. Der Chef des Ladens, in dem die Cousinen arbeiten und der bei der Lohnauszahlung Handküsschen einfordert; ein Kunde, der an der Kasse zu Partys einlädt; ein New Yorker, der in der U-Bahn masturbiert: Szenen, die nicht als Liste der Skandale daherkommen, sondern stimmig einen Sexismus des Alltags entwerfen.

Der einfache Handlungsrahmen — der Film erzählt nicht von Zweifeln und Entscheidungen, sondern von einem praktischen Vorhaben und den Hindernissen — erlaubt es Hittman, der Perspektive ihrer Protagonistin umso näher zu kommen. Wie schon in »It Felt Like Love« und »Beach Rats« beweist sie ein großes Gespür für eine nahezu physische Intimität — nicht, um Gefühle zuverstärken, sondern um eine prekäre Lebenswelt erfahrbar zu machen. Das hat auch mit der großartigen Helène Louvart zu tun, deren Kamera die Mädchen manchmal zu umhüllen und zu schützen scheint.

In anderen Momenten, etwa jener eindrucksvollen Szene, die dem Film den Namen gibt, bleibt die Kamera starr, und das Bild gehört ganz Sidney Flanagan. Die fragile Präsenz der Schauspiel-Debütantin drückt Autumns Unsicherheit ebenso aus wie ihre Bestimmtheit. Aus beidem entwirft »Niemals selten, manchmal immer« ein feministisches Prequel des Coming-of-Age-Films: Um die eigene Seele suchen zu können, muss man zunächst über den eigenen Körper bestimmen.

(Never Rarely Sometimes Always) GB/USA 2020, R: Eliza Hittman, D: Sidney Flanigan, Talia Ryder, Sharon Van Etten, 101 Min., Start: 01.10.