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Das Flüstern ausder Muschel

Der Souffleur ist der Underdog des Theaters,doch er beginnt sich zu emanzipieren

Niemand darf ihn sehen oder hören und doch hängt der Erfolg eines Abends auch von seiner Geistesgegenwart ab. Der Souffleur ist der unsichtbare Strippenzieher, der aus seinem Loch heraus flüstert, was jenen auf der Bühne entfallen ist. Doch sein Status im Theaterbetrieb war lange so unterirdisch, wie die Kammer, in der er saß, bevor das moderne Regietheater ihn aus seiner Versenkung holte: eine enger Kasten im Bühnenvorbau, der traditionell und wie zum Hohn als goldene Muschel dekoriert war.

»Er hat sich gleichsam ein eigen Organ dazu gemacht und ist wie ein Genius, der uns in der Not vernehmlich zulispelt«, sagt Serlo, der Theaterdirektor aus Goethes Roman »Wilhelm Meisters Lehrjahre«. Tatsächlich kamen dem Souffleur bis ins 19. Jahrhundert weitaus mehr Aufgaben zu, als nur die Mund-zu-Mund-Beatmung aus der Distanz bei peinlichen Hängern: Er führte das Soufflierbuch mit allen Rollen, Kommentaren und Streichungen, er gab das Signal für Lichtwechsel und Vorhänge, war Kulissenschieber, Pförtner und Kerzenschneuzer. Seine Kammer galt als Endstation für gescheiterte oder nicht mehr vermittelbare Schauspieler, doch den Text stumm mitzusprechen und nebenbei Socken zu stricken, reicht schon lange nicht mehr. Der Souffleur braucht heute ein abgeschlossenes Hochschulstudium und muss mehrere Fremdsprachen beherrschen.

Emanzipieren konnte er sich dennoch erst im postdramatischen Theater: In Brechts »Gutem Menschen von Sezuan« fiel der Souffleur erstmals aus der Rolle, bei Castorf, Schlingensief und Pollesch wurde er auf die Bühne gezerrt. Die Maschinerie hinter den Kulissen wird nicht mehr verborgen, Patzer werden nicht mehr übertüncht: Mit den Worten »Wenn du eh alles besser weißt, dann spiel es doch gleich selbst« schlägt man bei Pollesch dem Souffleur das Textbuch aus den Händen.. Erstaunlicherweise fällt sein Ausbruch aus dem Verborgenen zusammen mit dem Verschwinden des Samtvorhangs aus dem Theater, dieser Membran zwischen Szenerie und Wirklichkeit. Denn genau wie der Vorhang, dessen rituelles Auf- und Zuziehen auf etwas Außerordentliches einstimmt, gibt auch der Souffleur preis, was er verbirgt.