Einladung zum Abschweifen

Das Kölner »ZADIK« archiviert, forscht und stellt wunderliche Dokumente aus. Ein Gespräch mit der neuen Leiterin Nadine Oberste-Hetbleck

Frau Oberste-Hetbleck, »ZADIK« heißt: Zentralarchiv für deutsche und internationale Kunstmarktforschung, ein sperriger Name für eine sehr renommierte Institution. Wie erklären Sie Ahnungslosen in Kürze, welche Arbeit dieses Archiv leistet?

Das ZADIK wurde 1992 gegründet und sammelt Archive von sämtlichen AkteurInnen des Kunstmarktes, also Kunsthänd­ler*in­nen, Galerien, Kurator*innen, Kunstsamm­ler*innen oder anderen Institutionen und Akteuren — mit dem Schwerpunkt 20. Jahrhundert bis heute. Bei uns kann man erfahren, wie sie alle dazu beigetragen haben, dass uns bestimmte Künstler*innen heute vertraut sind — und andere eben nicht. Wir machen die Leistung der Händler und Kunstvermittler durch kritisch-reflektierende Forschung sichtbar, in dokumentarischen Publikationen, Ausstellungen, Vorträgen und Lehrveranstaltungen. Wir kontextualisieren sie im Kunstmarktgeschehen. Wir wollen aber nicht nur Anlaufstelle für Fachleute sein: Wir schaffen auch Angebote für alle Interessierten, perspektivisch soll diese Bildungs- und Vermittlungsarbeit gestärkt werden.

 

Am ersten Oktober treten Sie offiziell die Nachfolgerin des langjährigen Leiters Günter Herzog. Wofür soll die Amtszeit Oberste-Hetbleck einmal stehen?

Ich möchte das Archiv zu einem internationalen Kompetenzzentrum im Bereich der Kunstmarktdokumentation und -forschung ausbauen. Wachsende Bestände und, natürlich, ihre intensive Erschließung bilden hierzu die Basis, sie bleiben der Dreh- und Angelpunkt für interdisziplinäre Forschungen. Außerdem die Entwicklung einer Digitalstrategie, internationale Kooperationen und innovative Vermittlungskonzepte.


Dieses Jahr wurde die Anbindung des ZADIK an die Hochschule nach längerer Planung tatsächlich umgesetzt. Worin liegt der Vorteil dieser neuen Struktur?

In meiner bisherigen Position als Juniorprofessorin am Kunsthistorischen Institut habe ich von Anfang an die Anbindung des ZADIK an die nationale und internationale Forschung forciert. Nun ist es seit Anfang 2020 ein eigenständiges wissenschaftliches Institut an der Philosophischen Fakultät — und wir haben Quellenschätze, die bisher nur wir kennen. Das hat enormes Potential für interdisziplinäre Kooperationen mit den unterschiedlichen Fachrichtungen und die Bündelung von Ergebnissen aus dem Themenfeld Kunstmarktforschung in unserem Institut. Wichtig ist uns auch die Lehre, direkt vor Ort, im Archiv, bei der die Studierenden mit Archivalien wie Briefen oder Fotos arbeiten. Das unterstützt uns praktisch bei der Erschließung, und daraus entstehen, das ist toll, immer häufiger Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten!


Wollen Sie die Ausstellungstätigkeit des ZADIK fortführen, gibt es bereits konkrete Pläne?

Auf jeden Fall! Ausstellungstätigkeit ist für mich eine zentrale Säule der Vermittlung. Ausstellungen, etwa von Briefwechseln, Skizzen, Fotografien oder Einladungskaten, machen die Visionen der Vergangenheit wieder sichtbar und damit auch für die Zukunft fruchtbar. Auf der Art Cologne im November zeigen wir eine Sonderschau zur Kölner Galerie »art intermedia« von Helmut Rywelski — ein progressiver Fürstreiter vorwiegend sozio-politischer Kunst, der jedoch nur wenige Jahre als Galerist gearbeitet hat und vorher und nachher als Journalist. Eine Ausstellung zur freien Kunsthochschule »Ultimate Akademie« ist in Vorbereitung, denn wir werfen einen ganzheitlichen Blick auf das Kunstsystem. Außerdem entwickeln wir gerade Ausstellungsthemen, die aus dem rheinländischen Kontext herausreichen — dazu suchen wir den Dialog mit internationalen Kultureinrichtungen.


Aktuell muss der Kunstmarkt sich aufgrund der Corona-Krise — aber nicht nur — neu orientieren: rückläufige Verkäufe bei vielen Galerien, Reisebeschränkungen, Messeausfälle etc. Wie nehmen Sie als Expertin die Situation wahr?

Zunächst möchte ich persönlich sagen, dass ich den Einsatz der Galerien, KünstlerInnen, Off Spaces und weiteren KunstmarktakteurInnen in diesen überaus schwierigen Zeiten enorm bewundere. Diese anhaltende, unbedingte Leidenschaft für die Sache! Einerseits wird durch die Pandemie das Digitale gestärkt, andererseits wird aber auch deutlich, dass die Kunst das direkte, physische Erleben und den Austausch braucht. Wir als Archiv beschäftigen uns gerade intensiv damit, wie wir nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Pandemie mit ihren Auswirkungen auf den Kunstmarkt dokumentieren und archivieren können. Gar nicht leicht.


Das ZADIK ist auch eine Fundgrube für Entdeckungen und skurrile Geschichten aus der Kunstwelt. Haben Sie eine Lieblingsanekdote?

Jedes Mal, wenn ich mit einer Fragestellung in die Archivkisten schaue, stoße ich auf faszinierende Ereignisse, die mich zum Ab­­schweifen verleiten! Immer ­wieder beeindruckt mich z. B. die Guerilla-Aktion 1964 der damals noch jungen Künstler Sigmar Polke, Gerhard Richter, Konrad Lueg und Manfred Kuttner in Wuppertal: Sie stellten ihre Kunstwerke vor der Galerie Parnass in den verschneiten Vorgarten, um den Galeristen Rolf Jährling zu einer Ausstellung zu überzeugen. Interessanterweise gelang nicht nur das, sondern heute werden die durch den Schnee erzeugten Ränder auf den Werken als Zeichen dieser denkwürdigen Aktion bewundert. Kommen Sie ins ZADIK und schauen Sie sich die Fotos der Aktion einmal an!


Alle Infos zur Geschichte des ZADIK, Online-Archiv und Programm auf
zadik.uni-koeln.de