Wenn et Trömmelche jeit: Kann Karneval mit Abstand funktionieren? | Foto: Patrick Essex

Ascher­mittwoch am Elften im Elften

Bald beginnt offiziell die Session. Das Festkomitee hat Karneval jedoch Mitte September wegen der Pandemie weitestgehend abgesagt: keine Umzüge, keine Sitzungen. Köln soll nicht zum Corona-Hotspot werden. Abstand, Atemschutz, Desinfektion — das lässt sich mit enthemmten Jecken nicht umsetzen. Die hygienische Disziplin passt ohnehin nicht zu einem Brauchtum, das für Bützjer und Schunkeln, Grölen und Singen und auch viel Alkohol steht. Andererseits heißt es auch immer, Karneval sei mehr als das. Aber was? Kann man das Fest womöglich retten, indem man sich verantwortlich verhält? Drei Kölner Stimmen, die von Ratlosigkeit, aber auch von neuen Ideen und Erkenntnissen berichten

»Ich hab jetzt schon einen Kater«

Karneval kann man nicht verbieten. Sitzungen, Karnevals­umzüge, Straßenfeste und Kneipenkarneval kann man offiziell absagen. Aber der Kölsche wird sich seinen Karneval nicht nehmen lassen. Karneval ist auch immer Anarchie, Feiern über alle Klassenunterschiede hinweg, und er ist Kritik an der Obrigkeit. Wenn uns Covid-19 nun zwingt, auf Schunkeln, Bützen, Singen und Saufen auf engstem Raum zu verzichten, braucht es neue Formen des Vergnügens. Nur: Videokonferenz-Prosten oder Streamen von Sitzungen scheint schwer vorstellbar. Wie soll das gehen, ohne den Duft von Mettbröttchen, Kölschdunst, verschwitzten Menschen? Das funktioniert nicht übers Internet. Riechen, schmecken, fühlen, hören und sehen machen Karneval erst zu dem, was er ist: eine freundliche Übernahme des Alltags durch Leichtsinn und Kontrollverlust. Ich kann mir kaum vorstellen, die schwul-lesbische Röschensitzung zu Hause vor dem Rechner anzuschauen. Wie soll das bei einer Karnevalssitzung gehen, die auf Interaktion zwischen Bühne und Publikum beruht? Sitzt man dann zusammen im Stuhlkreis, ruft Aloah und Alaaf, macht die Tuschs selbst?
Was also tun als alternativer Vollblut-Karnevalsjeck? Karneval ist ein Teil von mir. Persönlich und beruflich. An den jecken Tagen in den Zeiten vor Corona ging ich von Karnevalsfreitag bis Veilchendienstag auf die Piste. Nichts davon wird 2021 passieren. Ich hab jetzt schon einen Kater. Vielleicht ist die Lösung: Raus aus der Stadt. Aber ich weiß es genau: Wenn Weiberfastnacht in Köln das Trömmelche geht, da steh ich parat, egal wo. Was wird kommen? Organisierte Karnevals-Hauspartys mit Menschen des Vertrauens in verwaisten Keller- und Garagenbars? Ein Rosenmontagszug auf Fahrrädern? Eine Open-Air-Ausstellung der Persiflage-Wagen? Karneval 2021 bedeutet: Neues ausprobieren und vielleicht auch dabei hinfallen.

Jonathan Briefs ist Mitbegründer zahlreicher alternativer Karnevalssitzungen. In Aachen trat er 1992 als der erste offen schwule Prinz auf. Er arbeitet als Coach und war für das Festkomitee Kölner Karneval jahrelang als Referent und Humorberater für den Bühnennachwuchs zuständig

 

 

»Es könnte etwas Neues entstehen«

Mir geht es mit dem Karneval nicht anders als es gerade ganz vielen Menschen in ihrem Leben geht. Wir haben einen unsichtbaren Feind, und man fragt sich immer wieder: Was kommt als nächstes? Wie geht es weiter?
Wir überlegen, ob und wie wir die Immisitzung möglich machen können. Wir haben noch nicht aufgegeben und halten uns diese Entscheidung offen. In schwierigen Zeiten braucht man das Theater am allermeisten. Das Theater hat alles überlebt — Kriege und Krankheiten. Es ist wichtig, dass es Momente gibt, in denen man befreit ist vom Alltag und den Sorgen und Nöten, die dieser mit sich bringt. Das hat eine große Bedeutung, in solchen Krisenzeiten besonders.
Was aber allen klar ist: Dieser Karneval wird nicht so, wie er sonst war. Und es bringt nichts, sich darüber zu beschweren. Was können wir tun? Was ist möglich? Wenn man das weiß, handelt man dementsprechend. Die Menschen können trotzdem Spaß haben und Nähe spüren. Nähe hat nichts mit Berührung zu tun, und ich bin fest davon überzeugt, dass der Karneval auch mit Abstand funktionieren kann.
Man merkt, dass gerade niemand weiß, was man machen soll. Alle sind desorientiert. Ich habe großen Respekt vor den Menschen in diesem Land mitsamt der Politik, die es geschafft haben, dass Deutschland bislang vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen ist. Vor allem im Vergleich zu meinem Heimatland Brasilien mit mittlerweile mehr als 130.000 Toten — sehr traurig. Ehrlich gesagt, möchte ich nicht tauschen mit denen, die die Entscheidungen treffen, ob der Karneval stattfinden soll oder nicht. Ich könnte im Moment nicht sagen, was die richtige Entscheidung ist.
Ich persönlich plane auch nicht großartig. Ich lasse alles auf mich zukommen. Wir werden diesmal einen Karneval erleben, wie wir ihn noch nie erlebt haben. Das Leben verändert sich ständig und man muss improvisieren, von daher denke ich, dass etwas Neues entstehen wird. Et kütt halt wie et kütt, und trotzdem hätt et noch immer jot jejange! Daran glaube ich!

Myriam Chebabi ist in Rio de Janeiro geboren. Sie ist Mitgründerin und derzeit Sitzungspräsidentin der Immisitzung

 

 

»Wie soll Gemeinschaft entstehen?«

Den Sitzungskarneval mal beiseite. Das Vitalere ist der Karneval auf der Straße, im öffentlichen Raum. Einerseits. Andererseits gehört die Nähe dazu, die Gemeinschaft. Demokratie beginnt ja nicht zufällig mit Städten, gegründet mit dem öffentlichen Raum, mit den Straßen, in denen jeder sich aufhalten kann; mal kurz abgesehen davon, dass jeder lange Zeit doch nicht jeder war (jede sowieso nicht), schon gar nicht die Abhängigen und Fremden. Aber immerhin.
Zurzeit — während Corona — erleben wir die Debatte um den Karneval und um den öffentlichen Raum. Und wie es nach Corona weitergeht. Die Verteilungskämpfe zwischen Autos, Rädern, Kinderwagen und Flaneuren. Oder die spannende Frage, ob die derzeitige Pop-up-Gastronomie Bestand hat. Stadt definiert sich ja durch Arbeit und Konsum. Beides verändert sich, die Arbeit im Home Office und der Konsum im Internet; die Warenhäuser werden Opfer ihrer eigenen Expansion, werden »neue Ruinen des digitalen Wandels« (FAZ). Corona hat diesen Trend noch verstärkt. Aber jetzt besteht die Chance, dass auf der Hohe Straße oder der Schildergasse ein Altenclub entsteht und ein Schachlokal, ein Jugendzentrum oder sich Handwerksbetriebe breitmachen. Natürlich erst dann, wenn die Immobilienpreise und Mieten einbrechen.
Die Städte sollen in erster Linie für die Stadtbewohner da sein! Doch besteht die Gefahr, dass sie eher für die touristischen Gäste  wieder hergerichtet werden. Attraktion und Kultur sind dann die Zugpferde, gerade in Köln. Ein Sprecher des Baukonzerns Strabag hat das schon angekündigt: »Firmen werden über Gebäude inszeniert. Statt vorrangig als konzentrierter Ort der Arbeit zu fungieren, werden sie verstärkt als Schauplätze zum Treffen und Kommunizieren benutzt.«
Zurück zum Karneval. Wenn der nicht öffentlich stattfindet, findet er gar nicht statt. Karneval beruht auf Nähe. Das ist wie bei einem Gottesdienst. Lächerlich von Gemeinde zu sprechen, wenn sich die Teilnehmer durch Distanz definieren. Wie soll da Gemeinschaft entstehen? Und singen sollen sie im Gottesdienst jetzt auch nicht — wie die Karnevalisten. Küssen schon mal gar nicht, nicht einmal die Hand geben beim Friedensgruß. Da lässt man lieber beides bleiben, den Gottesdienst und den Karneval.

Martin Stankowski ist Autor, Stadtbilderklärer, Kölnkenner