Wir bauen eine Stadt

Köln will im Norden auf Äckern und Wiesen einen neuen Stadtteil bauen. Klimaneutralität, günstige Wohnungen, Bildungscampus, nur wenige Autos — das Projekt »Kreuzfeld« soll Vorbild für die Zukunft der Stadt­planung sein. Doch noch sind nicht alle überzeugt.

Eine Oberbürgermeisterin, ein Bundesminister und die Vorsitzende einer Bundestagsfraktion stehen auf einem Acker. So beginnt kein Witz, sondern der Wahlkampf von Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Im Juli stand sie mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt vor einem Maisfeld gut zwölf Kilometer nördlich vom Kölner Rathaus. In fünf Jahren werde man hier sehen, sagte Reker, dass »eine vernünftige Infrastruktur für den neuen Stadtteil Kreuzfeld aus dem Boden wächst.«

Kreuz-was? Der Stadtteil ist das Phantom der Kölner Stadtplanung. Schon seit den 60er Jahren gibt es die Überlegung, im Kölner Norden einen neuen Stadtteil zu bauen. Südlich vom Naturschutzgebiet Worringer Bruch, nördlich von Chorweiler-Mitte, direkt an der S-Bahn-Linie zwischen Köln und Neuss.

»Der Ort gegenüber von Blumenberg«, sagt der Bezirksbürgermeister von Chorweiler, Reinhard Zöllner, jedes Mal, wenn er eigentlich Kreuzfeld meint. Er hält nichts von dem Projekt, und mag den Namen gar nicht aussprechen. Der CDU-Politiker ist nicht davon überzeugt, dass auf den Feldern schnell ein neuer Stadtteil ­entstehen wird. »Alle zehn Jahre wird das Ding ins Rennen geschickt und dann wieder ad acta gelegt.« Zum letzten Mal verschwanden die Pläne 2005. Damals waren die Beteiligten der Ansicht, ein neuer Stadtteil sei nicht nötig, denn Köln werde nicht weiter wachsen. Das war ein Irrtum. Nach neuen Prognosen werden bis zum Jahr 2040 in Köln 70.000 Menschen mehr leben als heute. Ende 2016 beschloss der Rat der Stadt Köln, die Planung von Kreuzfeld wiederaufzunehmen, die Stadt sucht Flächen für Wohnungen. Findet die Geschichte damit ein ­Happy End?

Das Gelände umfasst knapp 47 Hektar, das entspricht der Fläche von gut 65 Fußballfeldern. Das Planungsgebiet wird im Westen von der Autobahn A 57 und im Osten von der Bundesstraße B 9 begrenzt, die Mercatorstraße führt mitten hindurch. Auch ein S-Bahn-Haltepunkt ist vorhanden. Die Voraussetzung für eine gute Verkehrsanbindung, sonst oft ein Problem bei großen Quartiersprojekten, sind also günstig. Mindestens 3000 Wohnungen sollen hier gebaut werden, Platz für bis zu 6900 Menschen. Es ist diese Dimen­sion, die den Widerstand von Bezirksbürgermeister Zöllner hervorruft, aber auch im angrenzenden Blumenberg für Unruhe gesorgt hat. »Wir wollen ein gutes Stück Köln bauen«, betont hingegen Brigitte Scholz, Lei­te­rin des Amtes für Stadtentwicklung und Statistik. »Deshalb trägt ja auch unser Leitbild diesen Titel.« Es ist 2019 unter der Federführung von Scholz’ Amt mit einem Stadtplanungsbüro und den Bürgerinnen und Bürgern entwickelt worden.  

 

Planfeststellungsverfahren für eine Utopie

 

»Leitbild Kreuzfeld — Ein gutes Stück Köln«, heißt das 52 Seiten lange Dokument, im Februar hat es der Stadtrat verabschiedet. Kreuzfeld wird darin zu einem geradezu utopischen Ort: Es bringt »Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Lebensstile und unterschiedlicher Herkunft zusammen«, es ist ein »lebenswerter und sozial gerechter Stadtteil« mit »vielfäl­tigen Wohn- und Mobilitätsangeboten, Raum für unterschiedliche Arbeitsformen, Nahversorgung sowie soziale und grüne Infrastruktur«. Aber bislang liegen in Kreuzfeld nicht einmal Leitungen für Strom, Wasser oder Internet.

»Die Vorbereitung eines so großen Baugebiets benötigt Zeit, den Bebauungsplan hoffen wir 2023 auf den Weg bringen zu können«, sagt Scholz. »Für die ganze Bauvor­bereitung kann man dann noch mal fünf Jahre rechnen — das sind einfach die Rüstzeiten.« Jetzt gehe es zunächst darum, aus dem Leitbild eine konkrete Aufgabenstellung für die Architekturbüros zu entwickeln, die den Stadtteil später planen sollen.

Dafür ist unter anderem Hans-Martin Wolff vom Amt für Stadtplanung zuständig. In einem sogenannten Wettbewerblichen Dialog sollen zunächst in einer ersten Planungsphase sechs interdisziplinär besetzte Teams aus der Stadtverwaltung ihre Ideen entwickeln. Diese werden dann in mehreren »Planungswerkstätten« mit Bürgerinnen und Bürgern sowie Politik und Verwaltung diskutiert. »So soll nach dem Start im März 2021 bis zum September ein städtebauliches Konzept als Rahmenplan für die weitere Entwicklung entworfen werden«, erläutert Wolf. »Wir möchten, dass die Menschen sich einbringen«, sagt Wolff. »Sie sollen durchaus auch kritisch Stellung beziehen zu den Ideen, die entwickelt werden.«

 

Der lange Schatten der »Neuen Stadt«

 

Doch egal, mit wem man in der Nachbarschaft spricht, es herrscht Skepsis, ob Kreuzfeld einlösen kann, was sich die Stadt von dem Projekt verspricht. Ein Grund dafür liegt  in der Vergangenheit. Kreuzfeld soll die Vollendung der »Neuen Stadt« sein, einem Großbauprojekt, mit dem neuer Wohnraum im Kölner Norden geschaffen wurde. Der Großteil der Orte dort geht auf alte Rheindörfer zurück, die um einen winzigen Ortskern gewachsen sind. Erst in den 70er und 80er Jahren entstanden dort die Trabantenstädte, die heute das Image des Stadtbezirks Chorweiler prägen: Seeberg, Chorweiler-Mitte, Chorweiler-Nord. Deren Hochhäuser gelten als sozialer Brennpunkt mit ­Kriminalität, Armut und politischer Apathie. Auch ein ­aufwändiges Sanierungs- und Investitionsprogramm für Wohnungen und den öffentlichen Raum konnte daran nur wenig ändern.

Als bislang letzter Teil der »Neuen Stadt« wurde ab 1986 Blumenberg gebaut. Die engen Straßen des 5500 Einwohner großen Stadtteils sind von kleinen Mehrfamilien- und Reihenhäusern flankiert, im Osten gibt es eine »Ökosiedlung« mit bunten Häusern aus Holz. Das Ortszentrum wird von der S-Bahn geprägt, die den Ort in einem Tunnel durchquert und auf dessen Deckel ab und an Rasenflächen sind. Kurz vor dem Ende des Tunnels, an der S-Bahn-Station, befindet sich der Ortskern Blumenbergs: Bäcker und Kiosk, Pizza-Lieferdienst und Wettbüro, Shisha-­Bar und Apotheke sowie ein Lebensmittel-Discounter. »Es ist nicht leicht, hier Gemeinschaft entstehen zu lassen«, sagt Klaus Roth. »Reden, tanzen, spielen, Musikmachen — all das ist schwierig, weil man hier eine Schlafstadt gebaut hat.« Der Rentner sitzt für Die Linke in der Bezirksvertretung Chorweiler und engagiert sich zudem in der IG Blumenberg.

Als wir an einem Sonntag Inan Gökpinar an der S-Bahn in Blumenberg treffen, ist dann auch nur wenig los, trotz des angenehmen Spätsommertags. Gökpinar, SPD-Fraktionsvorsitzender in der Bezirksvertretung Chorweiler, ist im Stadtteil aufgewachsen. »Eigentlich sollte Blumenberg eine Mischung aus Wohnen und Gewerbe werden«, erzählt er. »Diese Planung ist fehlgeschlagen.«

Blumenberg ist eine Schlafstadt: Wer hier wohnt, arbeitet woanders. Dieser Fehler soll sich in Kreuzfeld nicht wiederholen. Das Leitbild sieht die Ansiedlung von Büros und Dienstleitungsunternehmen sowie »nicht störendem Gewerbe« vor. Wer nach Kreuzfeld zieht, soll auch dort arbeiten können. Könnte also Kreuzfeld nicht auch eine Chance für Blumenberg sein, den Stadtteil zu beleben? »Kreuzfeld wird erst in 15 Jahren fertig sein«, glaubt Inan Gökpinar. Er erinnert sich: »Als ich klein war, stand in Blumenberg schon Kreuzfeld auf den Ortsschildern.« Das war vor 30 Jahren. »Ich glaube, dass es 2024 oder 2025 den ersten Spatenstich geben kann«, sagt hingegen Steffen Böning. »Aber dafür muss der Zeitplan eingehalten werden.« Der Ingenieur lebt auch in Blumenberg. Auch er ist Mitglied im Bürger­verein IG Blumenberg, parteipolitisch ist er für die Wählergruppe GUT aktiv.

 

Auf der Suche nach der guten Mischung

 

Kreuzfeld bietet gute Voraussetzungen für ambitionierten Wohnungsbau. 80 Prozent der Flächen, auf denen der Stadtteil entstehen soll, gehören der Stadt. Sie hat somit einen großen Einfluss, was und wie gebaut werden soll. »Ich würde mir wünschen, dass hier eine Genossenschaft oder die GAG baut«, sagt Inan Gökpinar von der SPD. Er könne sich vorstellen, dass in Kreuzfeld mehr als die 30 Prozent Sozialwohnungen entstehen, die die Stadt Köln vorschreibt. Hans-Martin Wolff vom Stadtplanungsamt bestätigt zumin­dest, dass es 30 Prozent öffentlich geförderte Wohnungen geben werde. Geht man von schätzungsweise 3000 Wohnungen aus, wären das dann knapp 1000 Sozialwohnungen.

Auch Klaus Roth (Die Linke) ist unbedingt dafür, dass es bezahlbaren Wohnraum in Kreuzfeld geben wird: »Aber das darf nicht wieder alles in den Stadtbezirk Chorweiler kommen«, sagt er und warnt davor, dass hier nun ausgeglichen werden soll, was die Stadt in den Jahren zuvor versäumt hat. In Chorweiler-Nord sei etwa eine Siedlung mit 60 Prozent sozialem Wohnungsbau entstanden. »Wir brauchen auch hier eine gute Mischung«, sagt Roth.

Eben das will auch Brigitte Scholz, die Leiterin des Stadtentwicklungsamts. Sie betont, dass es auch um die Vielfalt der Wohnungstypologien gehe. Nicht nur Sozialwohnungen, auch der sogenannte preisgedämpfte Wohnungsbau soll hier umgesetzt werden. Inan Gökpinar von der SPD legt Wert auf barrierefreie Mehrgenerationenhäuser, und für Bezirksbürgermeister Reinhard Zöllner von der CDU gehören auch unbedingt Einfamilienhäuser zu Kreuzfeld. »Es ist aber die Frage, ob das nicht Maisonette-Wohnungen sein können, die es ermöglichen wie im Einfamilienhaus zu leben, die aber gestapelt sind, um die Fläche besser zu ­nutzen«, sagt Brigitte Scholz.

»Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, dass eine gute Mischung entstehen kann«, sagt sie. Dafür ist auch eine Kooperation mit der Technischen Hochschule angestrebt. »Der Bildungscampus ist ein Baustein im Leitbild«, sagt Scholz. »Die Hochschule will hier Angebote vor Ort machen.« So soll etwa ein »Bildungsaccelerator« Schüle­rin­­nen und Schüler für die TH interessieren und etwa Seminare vor Ort organisieren. »Es soll ein lebendiger Austausch mit der Schule, die in Kreuzfeld vor Ort sein soll, entstehen«, sagt Scholz. Man könne auch Wohnungen für Studentinnen und Studenten anbieten, zumal der S-Bahn-Haltepunkt und die Stadtbahn ja vorhanden seien, um in die Innenstadt zu kommen.

Für Steffen Böning von der Wählergruppe GUT zählt zu einer guten Mischung, dass Menschen aus allen Schichten nach Kreuzfeld kommen, darunter auch Projektgruppen mit Ideen für soziales oder ökologisches Wohnen. Diese Mi­­schung will Böning über eine breitere Spreizung der Erb­pacht sicher­stellen, die für sozialen Wohnungsbau und Pro­jekt­gruppen niedriger sein könne als für Investoren. In der Verwaltungen diskutieren derweil das Dezernat für Stadtentwicklung und das Dezernat für Liegenschaften noch, nach welchen Verfahren die Grundstücke überhaupt vergeben werden sollen.

 

Ein grüner Stadtteil im Grünen

 

Steffen Böning sieht in Kreuzfeld noch eine weitere Chance. »2030, wenn die Hälfte der Bewohner schon hier wohnen soll, muss Kreuzfeld klimaneutral sein.« Die Wählergruppe GUT, bei der sich Böning engagiert, hatte das im Dezember 2019 im Rat beantragt und eine Zusage der Verwaltung erhalten. »Klimaneutral?«, fragt Bezirksbürgermeister Reinhard Zöllner (CDU). »Da gibt es Wald, Wiesen und ­Felder, und die werden zugebaut!« Er glaubt nicht an ­klimaneutrales Bauen in Kreuzfeld. »Wir sitzen hier im Chemiegürtel. Auch in einem Öko-Haus sehe ich die Schornsteine am Horizont.«

Steffen Böning lässt sich von solchen Aussichten nicht zurückhalten. Sobald man das Thema Klimaneutralität anspricht, sprudelt es aus ihm heraus: Leihräder, auto­nomes Fahren, eine Flotte an Wasserstoff-Autos samt Tankstelle, die von Bildungseinrichtungen und Gesundheitsdiensten genutzt werden könne. »Ford hat schon Interesse gezeigt«, sagt der Ingenieur, der früher beim Autobauer im Kölner Norden gearbeitet hat. In der Nähe sei zudem eine Wasserstoff-Pipeline angedacht. Was würde es kosten, den Stadtteil klimaneutral zu machen? »Das muss nicht übermäßig teuer sein«, meint Böning und verweist auf Dietenbach, einen Stadtteil, der in Freiburg geplant wird. Dort hatte sich die Bevölkerung in einem Bürgerentscheid für klimaneutrales Bauen ausgesprochen, laut einem Gutachten sollen sich die Baukosten dadurch um 3,1 Prozent erhöhen.

Viele solcher Ideen finden sich auch im Leitbild zu Kreuzfeld. Doch Steffen Böning ist skeptisch, ob Klima­neutralität für Kreuzfeld ausreichend berücksichtigt werde. »Es sind viele verschiedene Stellen an der Planung beteiligt. Dadurch besteht die Gefahr, dass Infor­mationen oder Fördermöglichkeiten nicht immer wahr­genommen werden«, meint er. Auch Inan Gökpinar von der SPD sagt: »Die Koordination zwischen den Behörden ist meine große Sorge.«

Aber nicht nur zwischen den Ämtern ist Koordination nötig, sondern auch mit Akteuren, die die Stadtverwaltung Köln nicht für die höchste Instanz halten. Der größte unter ihnen: die Deutsche Bahn. Ihr gehört die S-Bahn-Strecke, die unter Kreuzfeld hindurch führt. 1997 wurde sie eröffnet und sorgte in Blumenberg für einige Erschütterungen — im wahrsten Sinne des Wortes. In den Häusern an der Bahnstrecke wackelten die Wände, wenn eine S-Bahn darunter fuhr. Daraufhin dämpfte man das Gleisbett mit Gummi. »Es wäre gut, wenn man das diesmal von Anfang an berücksichtigen würde«, sagt Klaus Roth. Seine Partei, Die Linke, legt Wert darauf, den S-Bahn-Haltepunkt in die Planungen einzubeziehen. Im Moment liegt dieser sechs Meter tiefer als der Ort. Es gibt keine Aufzüge, nur eine lange Rampe, die für die ältere Bevölkerung schwer zu benutzen ist. Immer wieder haben Bezirksvertreter versucht, dies zu ändern, konnten mit dem Anliegen jedoch nicht bis zur Deutschen Bahn vorstoßen.

Die Linke möchte die Bahnstation komplett über­dachen. Dort könnte eine Grünfläche entstehen, denn Fahrzeuge und Gebäude sind für den S-Bahn-Deckel zu schwer. Nördlich davon könnten sich ein Supermarkt und andere Geschäfte ansiedeln. »Es ist wichtig, dass Kreuzfeld ein gemeinsames Zentrum mit Blumenberg erhält, damit die beiden Stadtteile auch sozial zusammenwachsen«, sagt Klaus Roth.

Für die Verwaltung ist noch nicht entschieden, wie die  S-Bahn-Station in Blumenberg zukünftig aussehen könnte. Es wird auch hier ein Gutachten geben. Hans-­Martin Wolff vom Stadtplanungsamt sagt, Gespräche ­mit der Deutschen Bahn habe es bereits gegeben.

»Aber erst mit dem favorisierten Entwurf, der aus dem Wettbewerb­lichen Dialog hervorgeht, wird sich zeigen, was nötig sein wird, um die bestmögliche stadträumliche Verbindung zwischen Blumenberg, Kreuzfeld und Chorweiler insgesamt herzustellen«, sagt Wolff und rät zu etwas Geduld.  

Aber Bezirksbürgermeister Reinhard Zöllner hat schon klare Vorstellungen. Blumenberg und Kreuzfeld sind auch durch die Me­catorstraße getrennt, die von Norden nach Süden führt. »Da muss man für eine gute Überquerung sorgen«, sagt Zöllner. Aber tieferlegen kann man die Straße nicht, weil dort die S-Bahn-Gleise liegen. Eine verkehrs­beruhigte Getaltung ist auch schwierig, denn sie ist die zentrale Zufahrt für Blumenberg und vermutlich auch für Kreuzfeld. Zöllner kann sich aber eine rund 100 Meter breite Brücke über die Straße vorstellen, auf der man Geschäfte ansiedeln könne.

An dieser Stelle kommt ein zweiter großer Akteur ins Spiel: Straßen NRW. Der Landesbetrieb ist für den Blumenbergsweg zuständig, der das neue Viertel nach Norden begrenzt. Er soll auch zur geplanten neuen Auffahrt auf die Autobahn A 57 führen. Der Blumenbergsweg ist eine typische Landstraße. »Für Radfahrer ist es dort schwierig, Fußgänger sind offenbar nicht vorgesehen«, sagt Klaus Roth (Die Linke). Sie müssen sich einen schmalen Weg zwischen Fahrbahnmarkierung und Straßengraben teilen, während die Autos vorbeirasen. Die Straße muss also neu gestaltet werden — allein weil auch die Baufahrzeuge Kreuzfeld gut erreichen müssen. Aber die Landesverwaltung hat keine Eile, die Anfragen Kölner Bezirksvertreter zu beantworten. »Wir haben Straßen NRW schließlich bei einem Treffen über die Autobahnbrücke in Leverkusen abgepasst«, erzählt Roth. »Da haben wir gesagt: Wir bleiben ruhig wegen der Ver­zögerung beim Brückenbau, dafür beginnt ihr mit der ­Planung des Blumenbergswegs! Und das hat geklappt.«

 

Mit Bürgerbeteiligung gegen die Skepsis

 

Immer wieder kommt zur Sprache, wie schwierig es ist, als Lokalpolitiker aus Chorweiler Gehör zu finden: bei den Ratsfraktionen, bei der Stadtverwaltung und umso mehr auf den höheren politischen Ebenen. Der Bezirk ist zwar groß, aber er hat nur 86.000 Einwohner, und damit stehen ihm nur drei Mandate im Stadtrat zu — halb so viel wie der Innenstadt.

Eben das fördert die Skepsis gegenüber den Versprechen, die mit Kreuzfeld verbunden sind. Was bringt ein »Bildungsaccelerator«, wenn die Gesamtschule in Chorweiler nicht saniert werden kann, weil es keine Fläche für einen Ersatzbau gibt? Warum muss man auf ein Gesundheitszentrum hoffen, wenn es in Chorweile eine gut ausgelastete Notarztpraxis gab, die vor anderthalb Jahren geschlossen wurde und die Bewohner des Stadtteils jetzt nach Longerich oder Dormagen fahren müssen? Und was ist das »neue Mobilitätsverhalten« wert, wenn heute die S-Bahn bei Verspätungen den gesamten Stadtbezirk umfährt und die KVB am Wochenende nicht mal einen Bus nach Blumenberg fahren lässt?

Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel haben hohe Bedeutung im Leitbild für Kreuzfeld, etwa beim Ener­gie­konzept. Auch bei der Mobilität soll im neuen Stadtteil der CO2-Ausstoß verringert werden. »Diese Ziele sollen auch im städtebaulichen Wettbewerb verankert werden«, sagt Brigitte Scholz vom Amt für Stadtplanung. »Es soll ein zentraler Mobilitäts-Hub, ein Umsteigepunkt, entwickelt werden. Aber wo ist der richtige Punkt dafür, um eine gute Ver­bindung in die Innenstadt, die umliegenden Dörfer, aber auch das Umland zu haben?«, sagt Scholz. »Der Wettbewerbliche Dialog soll jetzt zeigen, wie das konkret aussehen kann.« Inan Gökpinar von der SPD aber bleibt auch bei der Bürgerbeteiligung ­kritisch. »Alles, was bis jetzt gelaufen ist, ist eine Alibi­veran­staltung ge­wesen«, sagt er. »Ich habe das Gefühl, dass die Stadt sich vorstellt: Kommt bitte zu den Planungswerkstätten und segnet alles ab!«, findet auch Steffen Böning.

Brigitte Scholz und Hans-Martin Wolff von der Stadtverwaltung kennen solche Einwände, und wollen weiter um Vertrauen kämpfen. Sie betonen, dass es noch keine Festlegungen gebe, die über das Leitbild hinausgehen. Vieles sei noch zu diskutieren. Auch die Corona-Krise, die den Zeitplan der Stadt strapaziert hat, führt zu neuen Überlegungen. Brigitte Scholz nennt ein Beispiel: Durch die Arbeit im Home Office würden nicht nur Pendlerströme verringert und die Umwelt geschont. »Auch das Stadtbild verändert sich«, sagt Scholz. »Dadurch werden die Viertel auch wieder lebendiger, sind nicht mehr tagsüber entleert.« Umso mehr gewinne der Öffent­liche Raum an Bedeutung, ein Thema, das ohnehin einen hohen Stellenwert im Leitbild habe.

Am 12. Dezember wird es eine weitere städtische Informationsveranstaltung im Bezirksrathaus Chorweiler geben, kündigt Hans-Martin Wolff vom Stadtplanungsamt an. »Wir schauen dann noch mal in den Rückspiegel, aber vor allem nach vorn und wie es weiter geht mit dem Wettbewerblichen Dialog. Für den kommenden März ist dann die erste Planungswerkstatt mit Bürgerbeteiligung geplant.« Bislang hatte es erst eine Veranstaltung der Stadt gegeben, daher hatte die IG Blumenberg unterdessen eine eigene Veranstaltung organisiert. »Das Interesse war hoch, es gab viele Diskussionen«, sagt Klaus Roth von der IG: »Beteiligung kann funktionieren.«

Eine Beteiligung der Menschen im Norden wünschen sich alle, mit denen wir gesprochen haben — aber ihre Erwartungen sind unterschiedlich. Bezirksbürgermeister Reinhard Zöllner hofft, damit den gesamten Planungsprozess noch aufhalten zu können. Er fordert: »Man muss die Leute fragen: Wollt ihr da einen neuen Ort? Ja oder nein?« Bei allen bisherigen Plänen für Kreuzfeld sei eine Mehrheit der Menschen »vor Ort« dagegen gewesen, sagt Zöllner.

Das sieht Steffen Böning von der Wählergruppe GUT und der IG Blumenberg anders: »Die Grundstimmung ist positiv. Aber es gibt Ängste, etwa beim Thema Verkehr.« Böning sieht in Kreuzfeld auch eine Chance, dass der Kölner Norden endlich ein gutes kulturelles Angebot erhält. »Die Menschen in Blumenberg verstehen, dass hier gebaut werden muss, wenn sie mehr Lebensqualität wollen«, sagt auch Klaus Roth. Der linke Bezirkspolitiker verweist auf die guten Erfahrungen, die man in Chorweiler-Mitte mit der Bürgerbeteiligung gemacht hat. Auch für Hans-Martin Wolff, der in der Stadtverwaltung mit der Öffentlichkeitsbeteiligung für Kreuzfeld befasst ist, sieht dieses Verfahren als vorbildlich an. Dort wurden ab 2016 zwei Plätze neu gestaltet. Die Stadtplaner stellten Zelte auf, bauten pro­visorische Basketballplätze, veranstalteten gemeinsame Abendessen, sie versuchten, die Planungs­varianten erlebbar zu machen. Viele Vorschläge wurden umgesetzt.

Kann das auch bei Kreuzfeld funktionieren? Wer ­weiß — der Weg vom Acker zum funktionierenden ­Stadtteil im Grünen hält auf jeden Fall noch viele Hin­dernisse bereit.