Die Ruhe nach dem Sturm

Während manche noch über Masken­pflicht und Kontakt­beschränkungen stöhnen, sehen die Party­macher schon den nächsten Lock­down am frostigen Horizont und zittern jäh

Wie werden die nächsten Monate ohne Open Airs und vergleichbare Veranstaltungen wohl aussehen? Dürfen wir überhaupt noch rausgehen? DJs und andere Musiker hat der Komplettausfall ihrer Eventszene mit am härtesten getroffen. Während im Sommer kurz alles vergessen schien, steht jetzt eine eiskalte Realität vor der Tür. Wir sprechen mit Veranstaltern und DJs, um herauszufinden, wie sie die Zukunft sehen.

Eines der ersten Covid-19-Opfer war das Roxy am Ring. Kölns Tanzbar-Urgestein musste im Mai nach über 45 Jahren im Dienst die Schotten dichtmachen. Der seit 2012 das Lokal führende Tobias Becker sah sich zum schnellen Handeln gezwungen. »Ich hatte zu Anfang der Pandemie einen guten Riecher und habe das Roxy sofort geschlossen, da mir klar war, dass dieses Jahr keine Tanzveranstaltung mehr stattfinden wird.« Auch ein neues Labelprojekt mit Fokus auf Clubmusik wurde erstmal hinten angestellt. »Jetzt ist ein weiteres Label in Planung, welches musikalisch viel breiter aufgestellt ist. Dafür produzieren mein Buddy Mike van der Viven und ich gerade neues Material.« Eine Rückkehr zum Clubbetrieb sieht Becker erst dann, wenn es Corona-Schnelltests oder einen Impfstoff gibt. Bis dahin hat er sich eine ungewöhnliche Ersatz-Beschäftigung gesucht: »Momentan arbeite ich als Bademeister und schone meine Ressourcen auf allen Ebenen. Ich werde erst dann wieder ins Geschäft einsteigen, wenn es mir sinnvoll erscheint.«

Grundsätzlich scheinen diejenigen entspannter der Situation entgegen zu blicken, die sich nicht vollständig finanziell von der Veranstaltungsbranche abhängig gemacht haben. Alex Ketzer, Produzent und Betreiber des Labels Noorden, berichtet von einem produktiven Frühjahr mit kreativen Spätfolgen. »Als Künstler bin ich weniger betroffen, da mein Day-Job als Grafikdesigner zum Glück nicht so sehr unter der Pandemie gelitten hat. Trotzdem haben sich im März und April viele Tracks angesammelt, die im Anschluss ausgearbeitet wurden und jetzt wohl mein nächstes Album bilden.« Sollte es zu neuen Kontaktbeschränkungen kommen, wird Ketzer sich mit finalem Mixing, Mastering und dem Artwork seiner Platte beschäftigen. Als DJ sieht er sich in Zukunft allerdings kaum aktiv, »außer vielleicht mal zusammen mit meiner Frau Claudia auf Twitch für die Freunde, mit 80er-Musik von Aha über Talk Talk bis zu Ultravox im Vinyl-Only-Stream!«

Ähnlich gelassen zeigt sich auch Musikverleger und Labelmacher Tom Strauch. Sein seit vor fast zwanzig Jahren gegründetes Label Switchstance Recordings macht auch so genügend Arbeit, und Strauch ist von seinen Veranstaltungen oder DJ-Gigs nicht finanziell abhängig. Die zusätzliche Zeit im letzten halben Jahr hat er dazu genutzt, laufende Projekte fertigzustellen und sogar neue Alben vorzubereiten. Als Hälfte des Produktionsduos Ancient Astronauts steht das eigene Album ZIK ZAK kurz vor dem Erscheinen, nach fast drei Jahren Arbeit mit Musikern aus knapp zehn afrikanischen Ländern. »Die letzten Monate habe ich intensiv mit dem finalen Mixen und Arrangieren der Songs verbracht. Dabei kam es der Sache echt zu Gute, dass ich nicht auch noch am Wochenende auflege und mir die Nächte um die Ohren schlage.« Als Videostream-DJ sieht sich Strauch nicht, hat stattdessen den Fokus auf neue Aufnahmemöglichkeiten gerichtet. »Ich habe mein Equipment so ausgerichtet, dass ich zu Hause meine neue Switchstance Reggae Show aufnehmen kann. Eine monatliche Radiosendung, die jetzt über Sender in Brasilien, USA, Österreich, Deutschland und weiteren Länder ausgestrahlt wird. Da suche ich mir auch gerade noch die passenden Radio-Partner zusammen.«

Open Airs im Winter möchte sich Strauch nicht vorstellen müssen. »Es macht keinen Spaß, bei Minusgraden aufzulegen. Das ist Handarbeit, dabei kann man doch keine Handschuhe tragen!« Er hofft stattdessen auf ein schrittweises Zurückkehren der Clubs ab Anfang 2021. Ihm geht vor allem die soziale Komponente der Clubs ab: »Mit Musik genug zu tun habe ich immer, aber mir fehlt das Auflegen und der Austausch.«

Veranstalter und DJ Dirk Sid Eno sieht das genauso, seine Reihe »Durch die Nacht« lief vor Corona erfolgreich, er buchte Monat für Monat meist bekannte internationale Künstler nach Köln. Gezwungenermaßen konzentriert er sich jetzt auf das Vorantreiben seiner Produzentenkarriere. »Ich habe ernsthaft über ein Album nachgedacht. Aber das ist doch eher ein Thema für später. Mein aktuelles Katermukke-Release mit der Vokalistin Naomi Wiltshire ist gerade erschienen. Diesen etwas poppigeren Weg will ich als Nebenprojekt auf jeden Fall weitergehen. Es kommt aber auch mehr typischer Sound von mir und sogar die ein oder andere Technonummer.«

Seine erhöhte Produktivität führt Sid Eno auf die Zwangspausen am Wochenende und den damit einhergehenden, gesünderen Lebensstil mit mehr Schlaf zurück. »Die Kreativität sprudelt zur Zeit förmlich aus mir heraus! Den Output an EPs von 2020 will ich nochmal überbieten und auch weiterhin viel Zeit im Studio verbringen.« Ob er dieses Jahr trotzdem noch irgendwo auflegt? »Wir werden in enger Abstimmung mit der Kölner Klubkomm tatsächlich an tragfähigen Pilotprojekten und Konzepten arbeiten«. Welche Rahmenbedingungen dafür bestehen müssten, ist aber unklarer denn je.

Das produktive Dasein als Einsiedler schwebt wohl den meisten im Musikgeschäft aktiven Künstlern gerade vor. Auch Shumi Okinawa, Resident und Booker vom Gewölbe, sieht die nächsten Monaten eher als Zeit fürs Musik-Machen anstatt sie zu spielen. »So schlimm das auch aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen ist: Wir müssen das noch weit bis ins Jahr 2021 aussitzen. Klar nervt die Ungewissheit, aber ich bin mir sicher, dass das kulturelle Leben wieder zurückkommt, vielleicht sogar besser als zuvor, und wir uns alle wiedersehen und zusammen die Nächte verbringen.« Jetzt sei einfach nicht die Zeit für Clubveranstaltungen. Er selbst sei auch gar nicht in der Stimmung dazu. Anstatt auf Events zu spielen, bei denen die Atmosphäre im Moment nicht stimmt, will er vermehrt neue Musik machen — und seine koreanischen Kochkünste möchte er verbessern. »Hier und da wird es von mir einen neuen DJ-Mix geben. Ich plane für das nächste Jahr außerdem einen Podcast mit Gästen zum Thema Musik/Club.« Am meisten freut er sich aber über das Mehr an Zeit mit Familie und nahen Freunden.

Diese letzte Anmerkung ist, was ihn mit allen Befragten und auch denen, die gar nicht vom Nachtleben abhängig sind, vereint. Denn egal was mit Jobs, Clubs und ähnlichen Institutionen noch geschehen sollte — am Ende zählt für alle doch die persönliche Nähe zu Freunden und Familie. Egal was Corona an ökonomischen wie gesundheitlichen (System-)Schäden angerichtet hat, der Stillstand hat vielen zum ersten Mal seit langem Zeit für Besinnung aufs Wesentliche gegeben. Auf Familie, Freunde und zwischenmenschliche Verbundenheit. Genau jene Werte, für welche die Community der Underground-Clubkultur seit jeher stehen will.