Verschwendung als Geschäftsmodell: Werbepost landet oft ungelesen im Müll | Foto: Letzte Werbung

»In die Tonne geschmissen«

Der Verein »Letzte Werbung« möchte Werbepost verbieten. Als ökologische Alternative schlägt Vorstand Sebastian Sielmann ein Opt-In-System vor

Wer einen »Keine Werbung«-Aufkleber am Briefkasten anbringt, darf keine nicht-adressierte Werbepost erhalten. Wo sehen Sie Probleme mit Einwurfwerbung?

Sebastian Sielmann: Das lässt sich an zwei Zahlen erklären. 76 Prozent der Deutschen möchten diese Werbung nicht. Den Aufkleber haben aber nur 26 Prozent auf ihrem Briefkasten. Ungefähr die Hälfte der Deutschen bekommt die Werbung, ohne sie haben zu wollen. Die Verschwendung ist gigantisch! Die meisten Produkte, die zu Müll werden, haben einen Zweck. In einer Plastiktüte trägt man den Einkauf nach Hause, durch einen Strohhalm trinkt man seinen Cocktail. Einwurfwerbung wird gedruckt, ausgeliefert und in die Tonne geschmissen.

Die Menschen könnten das doch verhindern?

Gesetzgebung sollte sich an der Mehrheit orientieren. Es gibt auch praktische Probleme: Die Austeiler halten sich nicht an die Vorgaben. Hausverwaltungen verbieten die Aufkleber. Aufkleber werden abgemacht oder sind nicht sichtbar. Oder die Broschüren werden einfach im Hausflur abgelegt.

Was fordern Sie?

Das sogenannte Opt-in-Verfahren. Es wird nur denen Werbung zugestellt, die es explizit wünschen. Wenn man nicht aktiv zustimmt, bekommt man keine Werbung. Wem es hilft, Konsumentscheidungen zu treffen, der soll die Broschüren ja bitteschön auch weiterhin bekommen.

Das Verfahren könnte zum selben Ergebnis führen.

Erhebungen sagen das Gegenteil. Die Zahlen sind in fast allen Ländern ähnlich: Ein Viertel der Menschen möchte Werbung, drei Viertel lehnen sie ab. Das prominenteste Beispiel ist Amsterdam. Die Stadt hatte ein riesiges Abfallproblem. Ein Teil der Lösung war 2018 die Einführung des Opt-in-Verfahrens. Seitdem werden pro Jahr 6000 Tonnen Papier und zwischen 650 und 750 Fahrten der kommunalen Müllabfuhr eingespart, und die Zustimmungsrate in der Bevölkerung liegt bei 86 Prozent.

Wie groß sind die Effekte auf den Umweltschutz?

Wir sprechen über die wohl am meisten unterschätzte Ressourcen­verschwendung in Deutschland. Mit dem Opt-in-System würden wir drei Prozent des gesamten Hausmülls sparen. Für die Herstellung  werden pro Jahr etwa eine Millionen Bäume gefällt, ganze Ökosysteme werden verstört. Die Papierproduktion ist zudem eine der wasser- und energieintensivsten Branchen überhaupt.

Für deutsche Großstädte wird Abfall zunehmend zum Problem.

Für Kommunen wäre das Opt-in-Verfahren attraktiv. Wir sind derzeit mit 15 Kommunen in Deutschland im Gespräch. Auch in Holland gab es zunächst einen kommu­nalen Impuls, mittlerweile wird die Diskussion auf nationaler Ebene geführt.

Wer ist gegen die Einführung?

Der größte Gegner ist die Deutsche Post, die im Jahr circa eine Milliarde Euro damit verdient, Werbung auszutragen — vor allem »Dialog Post« und »Einfach Aktuell«. Die Post verdient mit Verschwendung. Der Handel ist gefangen im alten Denken, dass Postsendungen ein gutes Werbemedium sind. Viele Studien sagen das Gegenteil. Der Handel wird das langfristig verstehen. In Dänemark befürwortet etwa das Handelsunternehmen Coop die Idee. Was nicht nur daran liegt, dass sie nachhaltiger sein wollen, sondern dass es effizienter und ökonomischer ist.

Letzte Werbung e. V. hat mit der Deutschen Umwelthilfe eine Petition gestartet und will das Gesetz zur Zustellung von Werbepost ändern: change.org/stoppt-ungewollte-werbepost