Kompromisslos freundlich: John Akude, Ratsmitglied von »Klima Freunde«, Foto: Dörthe Boxberg

»Ich habe kein Problem damit, eine Symbolfigur zu sein«

John Akude ist für »Klima Freunde« in den Stadtrat eingezogen. Ein Gespräch über seine Flucht aus Nigeria und die Rolle als erster Schwarzer im Rat

Herr Akude, Sie wurden 1964 in Nigeria geboren. Warum sind Sie nach Köln gekommen?

Das war Zufall. Ich hatte Probleme in Nigeria anlässchlich der Wahlen im Sommer 1993. Der Zusammenbruch der Sowjetunion hatte überall in der Welt zu Demokratisierungsbestrebungen geführt, auch in Nigeria. Wir hatten eine Militärdiktatur und wollten ein demokratisches Land werden. Ich war Promotionsstudent an der Universität in Benin. Wir Studenten hatten große Hoffnung in die Wahl, aber sie wurde grundlos annulliert. Wir sind auf die Straße gegangen. Das Militär zerschlug unseren friedlichen Protest, es wurden viele Studenten verletzt und sogar getötet. Der Druck wurde immer größer. Eines Tages bekam ich von einem Polizisten den Hinweis, dass ich noch am gleichen Tag inhaftiert werden sollte. Ich bin nur Stunden später außer Landes geflohen. Ein guter Freund studierte bereits in Köln. Er wollte mich schon länger zur Flucht überreden. Eigentlich war meine Haltung: Wenn wir alle Nigeria verlassen, wer rettet dann das Land? Aber am Ende musste ich fliehen, um zu überleben. Im Dezember 1994 bin ich in Köln angekommen.

Und bis heute geblieben.

Auch das war Zufall. Im Januar 1995 wollte ich in ein englischsprachiges Land gehen. Hier hätte ich erst Deutsch lernen müssen, meine Promotion hätte sich verzögert. Ich lebte mit meinem Freund in einem Elf-Qua­dratmeter-Zimmer im Uni-Center und übernachtete immer wieder bei einem anderen Freund im Asylheim, wenn der bei seiner Freundin war. Ich war echt deprimiert. Um mich aufzuheitern, hat mein Freund mich auf ein paar Kölsch im ehemaligen Café Tuba an der Moselstraße eingeladen, das gehörte einem Äthiopier und war ein Treffpunkt für uns. An dem Abend habe ich eine wundervolle Dame kennengelernt. Heute ist sie meine Frau, wir haben zwei wunderbare Töchter. Bis zu diesem Tag war ich bereit, für gute Politik als Märtyrer in Nigeria zu sterben.

Konnten Sie in Deutschland bleiben?

Ich hatte Glück, Glück, Glück. Ich hatte keinen Nachweis über meine Abschlüsse, ich musste viele Teile meines Studiums wiederholen. 2002 habe ich meine Promotion in internationalen Beziehungen begonnen. Als ich meinen ersten Vertrag als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Händen hielt, habe ich vor Freude geweint. Bis dahin waren es schlimme Zeiten: Ich habe als Bauarbeiter gearbeitet, ich habe alles gemacht, um mein Leben zu finanzieren.

Warum gehen Sie in die Kommunalpolitik?

Seit ich klein bin, bewegt mich der Klimawandel. Vor zwei Jahren fing meine Tochter an, sich für die Klimabewegung zu interessieren. Sie ist bei den Grünen eingetreten, ging zu den Fridays-for-Future-Demos. Ich wollte sie unterstützen und sie begleiten. Sie ging sofort von Null auf Hundert — mit dem Vater zur Demo! (lacht) Ich bin dann alleine hin. Bei der Klimademo im September 2019 habe ich Kontakte zu Parents for Future geknüpft.

Das eine ist Aktivismus, das andere Politik.

Wir waren frustriert. Wir demonstrierten, aber die Politik handelte nicht. Deshalb dachten wir uns: Wir sollten selbst in die Politik gehen und ihnen Beine machen! So kam der Kontakt mit der Wählergruppe Klima Freunde zustande. Irgendwann fragten sie mich, ob ich für den Rat kandidieren möchte. Ich sagte: Ihr seid verrückt! Wer soll mich denn wählen? Aber sie überzeugten mich mit dem Argument, dass die Kölner Politik meine Leidenschaft brauche. Das war eine große Wertschätzung. Und plötzlich bin ich im Rathaus gelandet. Es kommt mir noch immer vor wie ein Traum. Spätestens bei der ersten Sitzung im November muss ich komplett wach sein. (lacht)

Warum sind Sie nicht zu den Grünen?

Die Grünen sind mir bis heute nicht grün genug. Wenn sie das gemacht hätten, wofür sie stehen, hätte ich nicht auf die Straße gehen müssen. Wir werden keine Kompromisse beim Thema Klimawandel machen. Die wissenschaftlichen Daten sind übereinstimmend. Das ist jetzt wirklich serious und das ist auch das Credo unserer Ratsarbeit. Wir wollen die anderen dazu bringen, endlich die Dringlichkeit dieses Themas zu sehen.

Politik besteht aus Kompromissen.

Das ist eine Schwierigkeit, mit der wir konfrontiert werden. Vielleicht sind wir bei anderen Themen zu Zugeständnissen bereit. Aber beim Klimawandel geht es um die Aufrechterhaltung unseres Lebens auf der Erde.

Sie sind der erste Schwarze im Köl­ner Rat. Stört es Sie, dass Sie Ihre Hautfarbe zur Symbolfigur macht?

Es ist wirklich ungewöhnlich, dass ich der erste Schwarze im Rat bin, obwohl es in Köln eine relativ diverse Gesellschaft gibt. Köln ist bunt. Das muss sich auch im Rat zeigen. Ich bin als Repräsentant dieser Idee gewählt worden. Positive Sichtbarkeit ist die größte Waffe gegen Rassismus und Dis­kri­minierung. Ich habe kein Pro­blem damit, eine Symbol­figur zu sein.

Sie sind Nigeria noch sehr verbunden. Können Sie sich vorstellen, dort in die Politik zu gehen?

Darüber denke ich gerade nicht nach. Es gibt ein lateinamerikanisches Sprichwort: Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähle ihm von deinen Plänen für die Zukunft. Egal, was man plant: Was passieren wird, wird passieren. Die Dinge, die seit letztem September passiert sind, habe ich nie geplant. Ich bin überrollt worden von den Ereignissen. Wenn mir vor drei Monaten jemand erzählt hätte, dass ich heute mit Ihnen beim Interview sitzen würde, ich hätte ihn für verrückt erklärt.

John Akude wurde 1964 in Nigeria geboren. Der promovierte Politikwissenschaftler lebt seit 1994 in Deutschland und hat am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik und im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gearbeitet. Heute ist er als freier Berater für Entwicklungspolitik tätig.

Update (27.11.2020): Vor zwei Tagen hat die Gruppe Klima Freunde bekanntgegeben, dass John Akude sich "aus persönlichen Gründen" ausgetreten ist. Weitere Details sind noch nicht bekannt.