Neu verteilt und trotzdem in Zweiergruppen: Sitze im Rat der Stadt Köln, Foto: Thomas Schäkel / Stadtrevue

Unentschieden nach klarem Sieg

Wie erwartet bleibt Henriette Reker Kölns Oberbürgermeisterin. Aber mit welchem Bündnis sie die Stadt regieren wird, ist unklar

 

Am Ende war alles wie vorher. Als am 27. September gegen 22 Uhr die letzten Stimmen für die Stichwahl ausgezählt waren, stand fest: Kölns neue Oberbürgermeisterin ist die alte. 59,27 Prozent der Stimmen hatten Henriette Reker für den Wahlsieg gereicht. Sie bedankte sich »für das Vertrauen und die klare Mehrheit« und vergaß, dass ihre klare Mehrheit eine Minderheit ist.

36,24 Prozent — so hoch war die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl. Die Kommunalpolitik hat ein Legitimationsproblem, und Köln ist keine Ausnahme. Von rund 818.000 Wahlberechtigten haben 174.000 Henriette Reker ihre Stimme gegeben, also nur etwa 22 Prozent. Mehr noch: Im ersten Wahlgang am 13. September hatte Reker 13.000 Stimmen mehr erzielt. Das wird die Debatte um die Stichwahl wieder anheizen. Eigentlich soll sie den Wahlsieger*innen zusätzliche Legitimation verschaffen, wenn es im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit für das Amt der OB gibt. Allerdings findet die Stichwahl kaum Interesse, nicht nur in Köln. Auch landesweit betrug die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl nur 36 Prozent.

Als »Achtungserfolg« verkaufte Rekers Gegner Andreas Kossiski seine Niederlage mit 40,73 Prozent. Tatsächlich hatte sich der SPD-Land­tagsabgeordnete, der nach langem Suchen als Kandidat gefunden worden war, überraschend gut geschlagen. Er führte einen fairen, sachlichen Wahlkampf und mit rund 111.000 Stimmen im ersten und 119.000 Stimmen in der Stichwahl fand er mehr Zuspruch als sein Vorgänger Jochen Ott. Der damalige Kölner SPD-Chef hatte 2015 bei seiner Niederlage gegen Reker nur 103.000 Stimmen erhalten.

Auch diesmal ging für die SPD der OB-Wahlkampf verloren, wenn auch nicht so desaströs wie die Wahl zum Stadtrat zwei Wochen zuvor. Dabei schrumpfte die SPD-Fraktion als bislang stärkste Fraktion von 27 auf 19 Sitze — das sind genau so viele wie die CDU noch hat, der andere Wahlverlierer. SPD wie CDU können sich nun als kleiner Partner der Grünen anbieten.

Eigentlich könnte sich — wieder einmal — ein breites linkes Bündnis im Rat bilden. Grüne, SPD und Linke kämen mit den kleineren Parteien und Gruppen auf 57 der 90 Sitze. Doch ein naheliegendes Bündnis von Grünen und SPD wird unwahrscheinlicher.

Das liegt auch daran, dass die SPD die internen Querelen nicht in den Griff bekommt. Am Abend der OB-Stichwahl hatte Kossiski für Aufregung gesorgt, als er Anspruch auf den Fraktionsvorsitz anmeldete. Davon fühlte sich der amtierende Fraktionschef Christian Joisten düpiert. Allerdings war Kossiski ja auf Listenplatz Nummer eins für den Stadtrat gesetzt. Doch offenbar trauen die Sozialdemokraten Kossiski zwar zu, die Geschicke der Stadt zu lenken —  nicht aber, die SPD-Fraktion im Stadtrat zu führen.

Eine für den Montag nach der Wahl angesetzte Pressekonferenz wurde eine Stunde vor Beginn abgesagt. Drei Tage später setzte sich dann Christian Joisten in der neuen Fraktion mit elf von 19 Stimmen gegen Kossiski durch. Das entspricht einem Ergebnis von gerade mal 58 Prozent. Dennoch festigt Joisten damit seine Macht.

Neuer Geschäftsführer der Fraktion wird nämlich Mike Ho­mann. Der ehemalige Roden­kirchener Bezirksbürgermeister hatte selbst Ambitionen, als OB-Kandidat anzutreten. Bei der Nominierung von Kossiski im Februar sorgte Homann für den Eklat, weil er Kossiski verhindern wollte.

Seine Position festigt Fraktions­chef Joisten aber auch durch seine vier Vertreterinnen und Vertreter. Sie sind allesamt Neulinge im Stadtrat — und werden vom Chef sogleich mit einem Posten bedacht. Das ist zumindest ungewöhnlich. Dass sie gegen Joisten opponieren könnten, so wie deren Vorgänger es zuletzt im April versuchten, ist nun kaum anzunehmen. Zumal Kossiski, der ja auch Landtagsabgeordneter ist, sein Ratsmandat niederlegen wird. Denn nach SPD-Beschluss kann nur ein Fraktionschef beide Mandate annehmen. Obwohl sich hier ein festes Machtgefüge abzeichnet, wirken diese Vorgänge auf mögliche politische Partner verstörend.

Also doch weiter mit Grün-Schwarz? Gegen die CDU als Grünen-Partner spricht, dass das bis­herige schwarz-grüne Bündnis programmatisch am Ende ist. Zudem spielte für viele bei der Wahl der Klimaschutz und die Verkehrswende eine entscheidende Rolle. Doch der Klimaschutz bekam im CDU-Wahlprogramm noch nicht mal ein eigenes Kapitel, und in der Verkehrspolitik spricht viel dafür, dass die Christdemokraten weiterhin eine neue U-Bahn durch die City bauen lassen wollen.

Der Ausbau der Ost-West-Achse ist Knackpunkt für ein schwarz-grünes Bündnis, denn die Grünen möchten die Strecke weiter ober­irdisch verlaufen lassen. Vergangenes Jahr hatte der Rat die Entscheidung über die Ost-West-Achse auf die Zeit nach der Kommunalwahl verschoben. Die Stadtverwaltung soll nun die Kosten- und Zeitpläne für beide Varianten vorstellen.

Aber den Befürworter*innen des U-Bahn-Tunnels fehlt auch im neuen Rat die Mehrheit: CDU, SPD, FDP, Freie Wähler und OB Henriette Reker kommen auf 45 Stimmen. Nötig sind 46. Die zusätzlichen Stimmen könnten von der neuen Fraktion Volt kommen. Die Partei konnte aus dem Stand vier Mandate erringen. »Wir sind tendenziell für den Tunnel«, sagt Volt-Ratsmitglied Manuel Jeschka. »Allerdings darf der frei werdende Platz nicht für neue Autostraßen genutzt werden.« Für Volt habe Vorrang, den Neumarkt besser für den Rad- und Fußverkehr zu erschließen. »Aber das kann auch anders gelingen, etwa mit der Verlängerung der Linie 15 über eine Brücke nach Poll«, so Jeschka. Mit dem Beginn der neuen Ratsperiode am 1. November will Volt sich Zeit nehmen, auch die nicht-öffentlichen Unterlagen zur Ost-West-Achse zu studieren. Erst danach will die Fraktion entscheiden.

Vieles im neuen Stadtrat wird wohl noch lange ungeklärt bleiben — nicht zuletzt welches Bündnis an seiner Spitze zusammenarbeiten wird. Die grünen Wahlsieger*innen halten sich bislang bedeckt, welchen Juniorpartner sie an ihrer Seite sehen: SPD oder CDU. Seit der OB-Stichwahl laufen die Gespräche zwischen den Fraktionen und Wählergruppen. In manchen Fällen ist das ein erstes Kennenlernen, in anderen das Ringen um Posten und Projekte. Aus dem Rathaus ist zu hören, dass derzeit viel für eine Fortsetzung des »schwarz-grünen Gestaltungsbündnisses« spreche — nur dass aus Schwarz-Grün dann eben Grün-Schwarz würde. Für die Grünen steht viel auf dem Spiel: Nachdem sie zuletzt jeweils als Juniorpartner von SPD und CDU regierten, stehen sie nun endgültig in der Verantwortung — und unter Zugzwang. Gerade bei jungen Grünen, die bei Umweltschutz oder Mobilitätswende wenig kompromissbereit erscheinen, gibt es Vorbehalte, dass die Grünen in einem neuerlichen Bündnis mit der CDU falsch aufgehoben seien. Die Wirrungen innerhalb der SPD in den vergangenen Monaten werden jedoch im grünen Lager Zweifel aufkommen lassen, dass die Sozialdemokraten ein verlässlicher Partner sein könnten.

Schließlich ist auch bei den Grünen selbst einiges im Umbruch. Die bisherige Fraktionschefin Brigitta von Bülow wird, wenngleich sie ihren Wahlkreis haushoch gewann, von Christiane Martin, Nummer eins der Grünen-Liste, abgelöst. Von Bülow wird mit dem Posten der vierten Bürgermeisterin bedacht, was mancher im Rathaus keine feine Geste findet. Zumal die Grünen auch den Posten des zweiten Bürgermeisters besetzen können, doch dieses Amt wird weiterhin Andreas Wolter übernehmen, der bei der Delegiertenversammlung im Juni aber von der Basis mit einem schlechten Listenplatz abgestraft wurde. Zudem verlässt mit Jörg Frank das erfahrenste Ratsmitglied die Fraktion, die sich in der neuen Ratsperiode selbst noch finden und formieren muss.

Auch bei den Wahlen zu den Bezirksvertretungen haben die Grünen enorme Erfolge erzielt. In fünf von neun Stadtbezirken könnten sie bei entsprechenden Koalitionen das Amt der Bezirksbürgermeisterin oder des Bezirksbürgermeisters bekleiden.

Heikel ist die Lage im Stadtbezirk Porz. Hier hatte sich vor sechs Jahren der CDU-Politiker Henk van Benthem auch von AfD und Pro Köln wählen lassen. Ein Tabubruch, der selbst der CDU-Parteispitze peinlich war. Dennoch blieb van Benthem im Amt. Obwohl die CDU in Porz hinter der SPD nur zweite Kraft, hätte van Benthem sich erneut wählen lassen können — diesmal ohne Rechte. Doch für die Grünen war eine Kooperation mit der CDU nur ohne ihn möglich. Unter dem Druck trat van Benthem Ende Oktober zurück. So wäre der Weg frei für Schwarz-Grün, obwohl die SPD stärkste Fraktion ist. Das ungeschriebene Gesetz, dass die stärkste Fraktion auch den Bezirksbürgermeister stellt, lässt sich eben auch brechen: In Mülheim holten zwar die Grünen knapp das stärkste Ergebnis, doch nach der Wahl formierten sich SPD, CDU und FDP, um den bisherigen Bezirksbürgermeister Norbert Fuchs (SPD) im Amt zu halten. Die Grünen beklagen, dass das dem Willen der Wähle­r*in­nen widerspreche. In Ehrenfeld läuft’s besser: Volker Spelthann beerbt Bezirks­bürger­meister Josef Wirges (SPD), der nach 24 Jahren seinen Posten räumen muss, und auch Linden­thal, einem traditionell CDU-dominierten Bezirk mit langjährigem schwarz-grünen Bündnis, steht bald mit Cornelia Weitekamp wohl ebenfalls eine grüne Bezirksbürgermeisterin vor.