»Aber auch die Hyäne sollst du nicht essen«: Marlene Stark

Hybride Hyänen

Neue EPs von Marlene Stark, J. Vague und LiaLia

Die wenigsten Tierarten müssen rehabilitiert werden: Wölfe vielleicht, in Australien der Dingo, Spinnen, Schlangen. Sie eint der schlechte Ruf, der auf der Dummheit des Menschen basiert. Doch so hart wie die Hyäne trifft es sie nicht. Die Katzenartige wurde schon vom Apostel Barnabas aufs Korn genommen: »Aber auch die Hyäne sollst du nicht essen. Er (Moses) will sagen, du sollst kein Ehebrecher oder Knabenschänder oder etwas Derartiges werden. Weshalb? Weil dieses Tier jedjährlich sein Geschlecht ändert und bald männlich, bald weiblich wird.«

Bei der Tüpfelhyäne wurde schon das Matriarchat nachgewiesen, mit kräftigen, aggressiven, aber auch sozial-talentierten Weibchen an der Macht, die ihre männlichen Rudelskollegen nicht nur durch einen Sexual-Dimorphismus unterjochen, sondern auch durch einen Trick: Ihre Klitoris ist verlängert, Penisen nicht unähnlich, und nur freundliche Männchen werden in die Lage versetzt, den dadurch verkomplizierten Sexualakt zu vollziehen. Diese anatomische und soziale Besonderheit führte zur großen Angst gegenüber der geschlechtlichen Hybridität. Die Berliner DJ, Autorin und Musikerin Marlene Stark erweist dem Tier nun die Reverenz: »Hyäne« erscheint dieser Tage auf dem Schweizer Underground-Label Lustpoderosa.

Anhand dieses Symbols exerziert Stark das Thema Hybridität durch — sowohl sound-ästhetisch als auch sexuell. Während sie im Opener »Beruhig dich mehr« ihre Stimme mit den hart-treibenden Sound des Waves und des Raves zu einem betörend-schmissigen und lasziven Smasher vereint, tippelt »Was ist Feucht, Was ist Flüssig« auf 104 Schlägen pro Minute in eine Malaria!-Nachfolge. Die Aufzählung der Handlungsmöglichkeiten einer Hand im Follow-Up-Track vollendet die pervers-fetischisierte Auf­ladung der Frage, wo denn nun feucht aufhöre und flüssig beginne. Zuschreibungen der sexuellen Identität unterläuft Stark wunderbar mit einem ehemals vornehmlich Männern zugestandenem harten Sound, der von den ekstatischen Tanzflächen so viel versteht wie vom wuchtigen Großreinemachen im Kopf und in der Wohnung.

Label wie Künstlerin verkaufen diese Mischung aus Tribal, Post-Rave und Acid als Mini-LP. Über die Beweggründe lassen sich nur Mutmaßungen anstellen: Der Marke LP wird im Metier der elektronischen Musik im Speziellen — und gerade unter Musiker*innen, die sich gerade erst einen Namen machen wollen — mit einer gewissen Vorsicht begegnet. Longplayer, das klingt nach hohem Preis, nach einem durchgehenden Werkkonzept, dessen einzelne Parts/Track eben nicht das gesamte Bild wiedergeben. Außerdem möchte man nicht auf diesen einen Sound des einen Albums reduziert werden. Alle Formate außer der LP wirken da offener und durchlässiger.

Durchlässig zeigte sich auch der Verband Unabhängiger Musik­unternehmer*Innen bei ihrer Preisvergabe auf dem Reeperbahnfestival dieses Jahr. Den Kritikerpreis für das beste Label erhielt nämlich »Mansions and Millions«, welches wir gerade erst vorgestellt haben. Früher undenkbar, dass ein kleines Label, dessen Output zu über 50 Prozent aus Kurzformaten besteht, überhaupt bedacht worden wäre. Dabei werden Releases wie die George Michael-in-den-90ern-­Wiederbelebung »New Life« von J. Vague nichtmal mehr auf Tonträger gesichert, sondern liegen aus­schließ­lich digital vor. Doch hier folgt man dem Trend — was im Übrigen nun auch größere Labels nachmachen wollen. Der Indie-Riese 4AD legt dafür ein eigenes Sub-Label namens b4 auf.

Hier soll nun eine Plattform für die »Relevantesten Künstler der Zukunft« entstehen. Nach einer Compilation, einer Single und einer EP, folgt die Single der Ex-Kölnerin LiaLia. Die Neu-Berlinerin taucht mit dem Video zu »Night Call« (Regie: Jannik Morton Schneider von der Band Der Ringer) in eine Krypto-Welt voller Anime-Zitate und US-High-School-(Alb-)Traum-Vibes ein. Der Pop der Dark-Kawaii-Britney Spears ähnelt der 4AD-Kollegin Grimes schon sehr, scheitert aber nicht an bloßem Apologetentum und kann sich durchaus als eigenständige Marke etablieren, wie man in der Musikwirtschaft so gerne sagt. Absolutes Skalierungspotenzial garantiert.

Den beiden Veröffentlichungen und der Preisträger-Meldung ist eins gemein: Das Kurzformat wird hier von seiner Marktgängigkeit her betrachtet beziehungsweise von der Realität des Marktes. Denn die Ankündigung von Daniel Ek, CEO von Spotify, dass es nicht mehr reiche, alle drei Jahre Musik aufzunehmen, ist eine zartbittere Wahrheit. Der Protest, der aus Hymnen auf die Kunstfreiheit und die Kreativität bestand, ließ unerwähnt, dass die Musikwelt schon längst genauso aussieht. Spotifys Strategie, auf Playlisten zu setzen, hat dazu geführt, dass man als Label und Musiker*in, permanent Musik veröffentlichen muss. Immer hip, immer neu, immer aktuell: Für die User gut, für die einspeisende Seite großer Druck. Denn Spotify lohnt sich für die Produzenten vornehmlich über einen begehrten Spot in einer Highlight-Liste.

Das schafft man kaum mit hermetisch konzipierten Alben, sondern nur mit Kurzformaten und Einzeltracks, die einfacher zu vermarkten sind. Die Frage bleibt, wie sich diese Entwicklung in der Kunst niederschlägt. So lange die nämlich so gut bleibt, wie in den hier angeführten Beispielen, dann hat diese Ausbeutungswelle noch eine fortschrittliche Seite.

Tonträger: Marlene Stark, »Hyäne« (Lustpoderosa),

J. Vague, »New Life« (Mansions & Millions),

LiaLia, »Night Call« (b4/4AD)