Queeres Knastdrama: »El Príncipe« von Sebastián Muñoz

Jesus ist verschwunden

Kino Latino zeigt einen vielfältigen Querschnitt des süd- und mittelamerikanischen Films

Magdalenas Sohn Jesús ist spurlos verschwunden. Zusammen mit einem Freund wollte er vom Norden Mexicos in die Vereinigten Staaten, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Die Polizei wimmelt die Frau ab, drängt sie, ein Papier zu unterschreiben, das den Tod ihres Sohnes bestätigt. Als die Leiche des Freundes auftaucht, sucht Magdalena ihren Sohn schließlich auf eigene Faust in der von Kartellen kontrollierten Region und riskiert dabei auch ihr Leben. »Was geschah mit Bus 670?«, so der deutsche Verleihtitel des Regie­debüts »Sin señas particulares« von Fernanda Valadez, erzählt beklemmend und bildgewaltig von Migration im heutigen Amerika und zählt zu den stärksten Filmen des kleinen Festivals Kino Latino.

In zehn Beiträgen wird ein Querschnitt des aktuellen Filmschaffens aus Süd- und Mittelamerika präsentiert. Die Spiel- und Dokumentarfilme ergeben eine vielfältige, auch widersprüchliche, bewusst offene Auswahl mit Querverbindungen, in der gesellschaftspolitische Missstände angeprangert werden, in der aber auch Platz ist für die Adaption eines queeren Trashromans aus den 1970ern — das stilisierte Gefängnisdrama »El Príncipe« von Sebastián Muñoz aus Chile.

Auf der Suche nach einem vermissten Familienmitglied ist auch Ernesto im Drama »Nuestras madres« aus Guatemala, dessen Vater als »Guerillero« im Bürgerkrieg verschwunden ist. Sehr viel klaustrophobischer seziert Jorge Riquelme Serrano in »Algunas bestias« anhand einer dysfunktionalen Familie der chilenischen Oberschicht, die auf einer Insel feststeckt, bitterböse die Elite seines Landes.

Eröffnet wird die Filmreihe mit der Deutschlandpremiere des Dokumentarfilms »Once Upon a Time in Venezuela« über ein Dorf am Maracaibo-See, das sich gegen Umweltverschmutzung und Korruption zur Wehr setzt. Dazu wird es ein Video-Gespräch mit Regisseurin Anabel Rodriguez geben, ebenso wie einige Tage später mit dem Dokumentarfilmer Patricio Guzmán, dessen Chile-Trilogie zu sehen sein wird. Ein Großteil der Filme sind Entdeckungen internationaler Festivals, hochgelobt und oft preisgekrönt, darunter etliche Regiedebüts und Filme von Frauen.

Der eigenwilligste Beitrag ist »virar mar« von Philipp Hartmann und Danilo Carvalho. Ihr über sechs Jahre entstandenes Werk ist ein cineastisches Doku-Essay über das Element Wasser und den Klimawandel, das sich zwischen den Überflutungsgebieten Dithmarschens und der Wüstenlandschaft des brasilianischen Sertão bewegt.

Infos: filmszene.koeln