Bürger-Tocher im Antifa-Land: Mala Emde (M.)

Und morgen die ganze Welt

Julia von Heinz hat einen Film gemacht, der weder der Antifa noch den Hütern von Recht und Ordnung gefallen wird

Eine höhere Tochter im Antifa-Land: Luisa, gespielt von der aus »303« bekannten Mala Emde, ist »die Neue« in der Gruppe. Mit ihren Augen taucht man ein in eine fremde Welt zwischen ernstem Engagement und verspieltem Abenteuer —, und kann gewissermaßen der Antifa bei der Arbeit zusehen: Fitness-Training für die nächste Demo, Kampfsport wegen der Nazis, Plakate malen, Containern, Klamotten für Flüchtlinge sammeln und nicht zuletzt dichte Beobachtung der rechten Szene. Bald wird es ernst. ein Sprengstofflager wird entdeckt. Für Luisa und ihre Freunde stellt sich die Frage: Was tun?

Natürlich kann man an Julia von Heinz’ Film herummäkeln. Vor allem würde man sich eine prägnantere, zugleich offenere Filmsprache wünschen, etwas mehr Mut zum Exzess und etwas weniger Wille zum »guten Geschmack«. Auch war vorher schon klar, dass diese Geschichte weder der Antifa gefallen würde, noch den Hütern von Recht und Ordnung.

Aber im Land der Blinden ist die Einäugige Königin. Darum fallen die Stärken von »Und morgen die ganze Welt« mehr ins Gewicht: In einer für den deutschen Film leider sehr ungewöhnlichen Form wird hier die Gewaltfrage gestellt. Endlich mal schwört ein Film der Gewalt nicht pauschal ab, zugunsten eines falsch verstandenen Moralismus, sondern formuliert die Herausforderung angemessen: Manchen Anfeindungen muss man mit Gewalt begegnen; der Entschluss zur Gewalt kann individuell eine moralische Lösung sein, auch wenn man nicht Stauffenberg heißt. Und keine Gewalt ist auch keine Lösung.

Der Film räumt auf mit dem Missverständnis von Politik als öffentlicher WG und dem therapeutischen Blick auf unsere Verhältnisse; mit der frommen Lüge, dass man irgendwie alles verstehen muss und »über alles reden kann«. Die Neonazis sind hier nicht eigentlich so nett wie wir, bloß auf die schiefe Bahn geraten. Sondern sie sind der Feind. Keine Killer mit guten Gründen für Rassismus und Mord, sondern dumpfe Primitivlinge, die wir nicht verstehen müssen, auch wenn sie in den Parlamenten sitzen.

Es ist diesem Film auch anzusehen, dass er von den deutschen Filmförderern nicht wirklich gewollt wurde. Darauf deutet hin, dass dem WDR eine erste Drehbuchfassung schon 2002 vorlag. Der Film konnte letztlich nur mit Hilfe von französischem Geld finanziert werden. Offenbar ging dieser Film über den ästhetischen Horizont vieler Förderer hinaus und passt ihnen moralisch-politisch nicht in den Kram — was allein ihn schon sympathisch macht.

D 2020, R: Julia von Heinz, D: Mala Emde, Noah Saavedra, Tonio Schneider, 111 Min. Start: 29.10.