Vergiftete Beziehungen: Shaghayegh Shourian

Doch das Böse gibt es nicht

Mohammad Rasoulofs Berlinale-Gewinner thematisiert die Todesstrafe im Iran

Welch große Wellen das Thema Todesstrafe im Iran schläg,t konnte man kürzlich am breiten Medien­echo auf die Hinrichtung des populären 27-jährigen Ringers Navid Afkari verfolgen, der wegen angeblichen Polizistenmordes am Rande einer Protestkundgebung verurteilt wurde. Die filmische Auseinandersetzung mit der gesellschaftlich hoch umstrittenen Strafe findet im Iran in verschiedenen Genres statt. Häufig geht es um das »Blutgeld« — eine Regelung des Strafrechts, mit der sich der Delinquent im Mordfall von der Familie des Opfers freikaufen kann, wenn diese einwilligt.

Mohammad Rasolouf behandelt Grundsätzlicheres: In vier Episoden zeigt er, wie die Spuren der barbarischen Praxis in den Alltag sickern, die gesellschaftliche Sphäre vergiften. Da fährt ein liebender Familienvater morgens seine Tochter zur Schule, bereitet eine Hochzeit vor, geht abends mit der Familie Pizza essen — und löst dann, wenn die Nacht am tiefsten ist, bei seinem Job per Knopfdruck einen Galgen aus, der Verurteilte ums Leben bringt.

Andere Kapitel betreffen einen Wehrdienstleistenden, der sich dagegen wehrt, ein Todesurteil zu vollstrecken, und einen weiteren Soldaten, dem langsam die Einsicht dämmert, dass er den besten Freund der Familie seiner Verlobten hingerichtet hat. Die letzte Episode verbindet Leben und Tod, Iran und Deutschland. In seinem achten Film spinnt Rasoulof ein Netz der schuldhaften Verstrickungen: keiner ist wirklich böse, aber jeder verantwortlich.

Der Film ist auf diese Erkenntnis hin konstruiert, ja: zugespitzt. Da die Erzählungen anderweitig nicht verbunden sind, wiederholt sich eine gewisse Absehbarkeit. Dies mag auch daran liegen, dass Rasoulof diesen Langfilm nur umsetzen konnte, indem er ihn als vier Kurzfilme »tarnte«. Die Vergabe des Goldenen Bären im Februar in Berlin war natürlich ein politischer Preis, motiviert durch das Thema und den Fall Rasoulof: Nach seinem letzten Film »A Man of Integrity« wurde er mehrfach bestraft, unter anderem mit Ausreiseverbot. Der Vorladung zum Antritt seiner einjährigen Haftstrafe ist er zunächst nicht nach­gekommen.

Doch wenn »Doch das Böse gibt es nicht« sich von der privaten Enge, dem düsteren Töten im Keller fortbewegt, den Bildausschnitt weitet, von Betonmauern in weite Landschaften übergeht und dabei seinen Protagonisten zunehmend mehr Freiheit zutraut, dann stimmt seine Kunst doch fast wieder hoffnungsfroh.

(Sheytan vojud nadarad) D / TSCH / IR 2020, R: Mohammad Rasoulof, D: Ehsan Mirhosseini, Shaghayegh Shourian, Kaveh Ahangar, 150 Min.