Spiegelbilder und Rivalinnen: Die Zwillingsschwestern Paz und Pía Miranda. Foto: Niclas Weber

Genetische Geworfenheit

Das Atonal-Theater lotet mit »Twins — Ich und Ich« Identitätsgrenzen aus

Beide sehen wirklich komplett gleich aus, wie sie da so nebeneinander auf der Bühne des Orangerie-Theaters stehen: pinke Anzüge, das Ohrring-Paar haben sie sich geteilt. Braune, streng zum Knoten gebundene Haare. Jede erzählt, wie sie aus dem entfernten chilenischen Dorf Ovalle nach Köln an die Musikhochschule kam, um hier Posaune und Querflöte zu studieren. Und dann sind sie doch die jeweils andere, ergreifen sie das Instrument der Schwester, haben uns an der Nase herumgeführt in einem kleinen, zwillingstypischen Versteckspiel. Und umkreisen sich in ihrem schönen, selbstgeschriebenen Musikstück spielend selbst, distanziert und dissonant, lauernd und liebend: Spiegelbilder und Rivalinnen, Freundinnen und vermeintliche Identitäts-Klone. Um dann wieder von vorne den gleichen Text zu erzählen — mit kleinen Varianten.

Regisseur Jörg Fürst und sein Atonal-Theater hat einen Musiktheaterabend über Identitätsgrenzen inszeniert, der sich am Beispiel der Doppelgänger-Schwestern Paz und Pía Miranda Fragen über Einzigartigkeit, Imitation und Anpassung stellt. Wie gehen sie um mit ihren Charakterunterschieden, oder dass sie von außen, etwa vom Großvater, stets als Einheit, »Piapaz«, gesehen werden? Wie ist es, eine Doppelgängerin zu haben, die stets zur Gefahr für die eigene Identität zu werden droht? Dass die eine ein Kind hat und die andere nie eins wollte? Dass die eine Ehe nach langem Kinderwunsch plötzlich scheiterte? So sympathisch, leicht und ironisch der Abend daherkommt, so sehr hätte man sich manchmal gewünscht, dass die beiden noch Substantielleres von sich erzählen, Lebensbrüche nicht nur anreißen, sondern tiefer hineingehen — oder auch nur reflektieren, was sie daran hindert, Details zu erzählen. Was macht es wirklich mit der einen, wenn ihre Zwillingsschwester nach drei Jahren in die gleiche Stadt auswandert? Wie grenzen sie sich ab, wie gehen sie um mit Kritik und Konkurrenzgefühlen — und was bedeutet es, doch nicht ohne einander sein zu können?

Und so bleibt manches an diesem Abend ungesagt oder klingt, als wüsste man es schon. Kommentiert werden die Erzählungen der Schwestern durch die Live-Videokamera von Susann Martin, die schöne Schatten und Reflexe an die weißen Wände malt. Doch auch sie kommt der echten Frage nicht auf die Spur, die unter allem liegt: Wie Lebensgestaltung und genetische Geworfenheit sich in unser aller Schicksal denn nun wirklich zueinander verhalten.