Keine Pause im Meinungskampf: Corona-Hysterie im Theater der Keller, Foto: Niklas Berg

Auf der Suche nach der verlorenen Stille

Mit »Living in a Ghost Town« inszeniert Volker Schmalöer eine bunte Corona-Revue

Das komplizierte an dieser Corona-Misere ist, dass sie so schwer mit anderen Krisen zu vergleichen ist. Selbst im großen Archiv der Popkultur hat kaum etwas Bestand im Angesicht von knappen Intensivbetten, Lockdown und Maskenpflicht. Da mussten schon die Rolling Stones nochmal ran, um mit ihrem Song »Living in a Ghost Town« wenigstens den Soundtrack für die einsamen Stunden im Homeoffice zu liefern. Der Song taugt auch als Leitmotiv für die gleichnamige Inszenierung von Volker Schma­löer im Theater der Keller. So bleibt dem jungen Ensemble, fast ausschließlich von der eigenen Schauspielschule, wenigstens etwas, woran es sich klammern kann, wenn sie sich auf die Suche nach Orientierung begibt.

Als Folie der Verunsicherung dienen Bilder der leergefegten Einkaufsstraßen Kölns, die im Hintergrund auf die Leinwand projiziert werden. Davor fläzt der achtköpfige Corona-Chor auf alten Jugend­stil-Sofas. Stellvertretend für die Zuschauer*innen durchlebt das Ensemble schlaglichtartig den Irrsinn der letzten Monate. Die apa­thischen Stunden auf der Couch daheim, die Panik beim Blick auf die neuesten Infiziertenzahlen und die Einsamkeit, die sich wie Mehltau über den Frühling legte. Mal in manischen Dialogen, dann in ausgelassen Tanz- und Gesangsein­lagen präsentiert »Living in a Ghost Town« dabei all die diskursiven Orientierungsangebote, die durch die Medien geisterten.

Es treten auf: Corona als Chance zur Besinnung für Mensch und Natur, Corona als Offenbarungsstunde einer perversen »Normalität«, Corona als apokalyptisches Ende der Zivilisation, und klar — Corona als Verschwörung der blutrünstigen Eliten. Corona-Hysterie wohin man blickt. Mit großem Körpereinsatz versucht das Ensemble eine Schneise durch dieses Chaos von Titeln, Thesen und Temperamenten zu schlagen. Und sehnt sich dabei nach einer kleinen Pause, nach einem kurzen Moment der Stille im Lärm des Meinungskampfes.

»Living in a Ghost Town« übersetzt die Zeit der Ungewissheit verspielt und expressiv auf die Bühne. Dabei schafft es das Stück nicht immer, die Zuschauer*innen auf Spannung zu halten. Zu wirr und chaotisch schwappen die Emotionen dafür zwischen Depression, Manie und Wut. Dass das Stück nicht zerfasert, ist vor allem dem großartigen Jakob Wüllner zu verdanken. Als Schauspieler und Musiker in einem spinnt er mit Gitarre und Drums den roten Faden für eine launige Corona-Revue.