Selbst gestaltetes Plakat zum Bürgerschaftsfest im Gründungsjahr des Vereins, Foto: BüZe Ehrenfeld

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Das Bürgerzentrum Ehrenfeld wird 40. Das »BüZe« schien, wie viele Kölner Bürgerzentren, aus der Zeit gefallen. Jetzt erleben sie einen Kulturwandel, der durch die Corona-Krise noch beschleunigt wird

Die Frage, ob Bürgerzentren noch wichtig für die Stadt­gesellschaft sind, kennt Andreas Pöttgen. Er sitzt im Café Fridolin, das im Sommer ins BüZe Ehrenfeld eingezogen ist, und deutet in Richtung Eingang. »Wer hier durch die Tür geht, dem sieht man nicht an, warum er herkommt.« Für Nähkurs oder Geflüchtetenberatung. Für Cappuccino mit Hafermilch oder Lebensmittelausgabe für Bedürftige. Belegschaft, Publikum und Programm würden die komplette Bandbreite der Gesellschaft abdecken. »Das ist ein Alleinstellungsmerkmal«, sagt der BüZe-Geschäftsführer, »und das macht es Menschen leichter, uns aufzusuchen, wenn sie Hilfe brauchen«.

Das BüZe Ehrenfeld feiert in diesem Jahr runden Geburtstag. Am 11. Januar 1980 gründete sich der Trägerverein. Zum Vierzigsten blickt das Haus in seine Vergangen­heit — auch um sich seiner Gegenwart und Zukunft zu vergewissern. Aus der Luft gegriffen ist die Frage nach der Daseinsberechtigung von Bürgerzentren nicht. Ihnen haftet etwas Gestriges an.

»Wir haben in diesem Jahr viel über uns gelernt«, sagt Pöttgen. Im Rahmen einer offenen Werkstatt hat das BüZe seine Geschichte aufgearbeitet, auch die seines Standorts an der Venloer Straße 429. Wilhelm Leyendecker, später Kölner IHK-Präsident, war 1869 aus der Altstadt nach Ehrenfeld gezogen und baute dort seine Bleiröhrenfabrik zum Vorzeigebetrieb auf. Die Verwaltung von Leyendecker saß in dem Eckgebäude, in dem sich heute ein Teil des BüZe befindet. Später übernahmen die Vereinigten Deutschen Metallwerke (VDM) den Betrieb. VDM führten ihre Produktion — mit Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs — bis zur Schließung des Standorts 1969 weiter, ehe das Gelände mehr als ein Jahrzehnt brach lag. »Ein typischer Ehrenfelder Verlauf«, sagt Pöttgen. Die Geschichtswerkstatt hat ihn in den vergangenen Monaten freigelegt. Bürger waren mit Dachbodenfunden gekommen. Utz Ingo Küpper, früherer Leiter des Amtes für Stadtentwicklung, brachte alte Stadtpläne, Heinke Groll, erste Vorsitzende des Vereins, Unter­lagen aus dem ersten Arbeitskreis. »Dass das BüZe an diesem Standort entstanden ist, war reiner Zufall«, sagt Pöttgen. Nicht nur in der Ehrenfelder CDU um ihren damaligen Vorsitzenden Klaus Ulonska, auch in konservativen Teilen einer SPD-geführten Verwaltung gab es Widerstand gegen das Projekt. »Die Bürgerzentren waren damals die Pfarrsäle der Sozialisten. Unsere Anfangsjahre erzählen von den üblichen Kämpfen, wie Initiativen sie eben haben«, sagt Pöttgen. Das BüZe behauptete sich. 1984 schloss der Verein den ersten Trägerschaftsvertrag mit der Stadt, 1986 wurde der Anbau im heutigen Leo-Amann-Park fertiggestellt.

Das Jubiläumsjahr wäre beinahe zum Desaster geworden. Wie alle 14 Bürgerhäuser und -zentren in Köln wurde das BüZe Ehrenfeld von der Coronakrise getroffen. Zwar erhalten die Häuser einen Betriebskostenzuschuss von der Stadt, sind aber verpflichtet, ihren Etat in Teilen selbst zu erwirtschaften — mit Vermietungen, Veranstaltungen, Catering oder Gastronomie. Das Verhältnis von städtischen Zuschüsse und eigenen Einnahmen ist an jedem Standort unterschiedlich. »Unsere Kosten belaufen sich auf etwa 350.000 Euro pro Jahr — 150.000 Euro decken städtische Zuschüsse ab, 200.000 Euro müssen wir selbst erwirtschaften«, rechnet zum Beispiel Hermann Menke, geschäftsführender Vorstand im Bürgerzentrum Engelshof in Porz. Anders als das BüZe Ehrenfeld zählt der Engelshof zu den Bürgerzentren ohne hauptamtlichen Geschäftsführer. Vier Bürgerzentren werden zudem von städtischen Trägern geführt. Auch inhaltlich haben die Häuser unterschiedliche Schwerpunkte. Allen war in der Coronakrise gemein, dass die Einnahmen wegbrachen. Im Juni sendete die Kölner Elf, der Zusammenschluss der Kölner Bürgerzentren, einen Hilferuf an die Stadt. Die Stadt stellte einen Rettungs­schirm in Höhe von 750.000 Euro bereit. Ihr sei es »ein Anliegen, die für ein lebenswertes Köln und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserer Stadt wichtige Struktur der Kölner Bürgerzentrenlandschaft zu erhalten«, ließ Oberbürgermeisterin Reker mitteilen. Dem BüZe Ehrenfeld brach neben Raummieten und Veranstaltungen das Catering weg, pro Tag 600 Essen für Kindergärten und Schulen. Auch das Café musste schließen. »Wir hätten Weihnachten nicht überlebt«, sagt Geschäftsführer Andreas Pöttgen. Die Pleiten der Kölner Bürgerzentren sind vorerst abgewendet, auch wenn die Perspektive für 2021 in vielen Häusern Sorgen aufkommen lässt.

Aber auch abseits der Coronakrise erleben die Bürgerzentren gerade einen Kulturwandel. Davon bleibt auch das BüZe Ehrenfeld nicht verschont. »Von Mitgliedern der ersten Stunden habe ich immer wieder die Rückmeldung bekommen, dass das für sie nicht mehr das Haus von früher sei«, sagt Andreas Pöttgen. Der 31-Jährige sieht darin keine Kritik. Für ihn sind gut funktionierende Bürgerzen­tren mittlerweile Sozialunternehmen: »Über 50 Mitarbeiter, dreiköpfiger Betriebsrat, 1,7 Millionen Jahresumsatz, Umsatzsteuervoranmeldung. Datenschutz, Brandschutz, Arbeitsschutz – unterm Strich ist das hier ja nichts anderes. Wir machen nur keinen Gewinn.« Seit den 90er Jahren, als Bürgerzentren bis zu 90 Prozent ihres Etats durch Fördergelder abdecken konnten, sind die Zuschüsse sukzessive heruntergefahren worden. Bei der letzten Kürzungswelle 2012 war die Existenz mehrerer Kölner Häuser bedroht, auch Ehrenfeld wackelte. »Hätte man vor 30 Jahren in einem Bürgerzentrum mit Management-Vokabeln um sich geworfen, hätten die Mitglieder getobt«, sagt Pöttgen. »Heute geht es nicht ohne.«

Das Image, das Bürgerzentren heute noch anhaftet, führt Pöttgen nicht zuletzt auf die Geschichte vieler Häuser zurück, denen über die Jahre die Innovationsfreude abhandengekommen war. Die Protagonisten der frühen Jahre mussten ihre Häuser vor dem Rotstift verteidigen, wurden älter, auch die Häuser kamen in die Jahre. »Ein Bürgerzentrum ist für viele nicht sexy, kein cooler, urbaner Ort«, sagt Pöttgen. Doch mit der Notwendigkeit, sich für die Stadtgesellschaft herauszuputzen, öffneten sich viele Häuser. Im Café Fridolin treffen sich mittlerweile die Ehrenfelder Hipster, im Sommer lud das BüZe den Kulturfleck vom Verein KLuG ein und kooperierte mit dem Karneval der Kollektive. Wie in Ehrenfeld, wo Pöttgen 2015 mit 26 Jahren die Geschäftsführung übernahm, verjüngte sich in den 2010er Jahren bei vielen Bürgerzentren das Führungspersonal — in Bocklemünd und Kalk, im Quäker Nachbarschaftsheim, im Stollwerck und in der Alten Feuer­wache.

»Unser Gründungsimpuls ist noch aktuell: Wir wollen Leute in die Lage versetzen, sich zu organisieren«, sagt Pöttgen. Einige könnten das selbst, sagt Pöttgen, und verweist auf junge Projekte wie den Kulturraum 405, das Wandelwerk und die Niehler Freiheit, mit denen das BüZe zusammenarbeitet. »Aber viele Menschen können das nicht. Auch die wollen wir aktivieren, um benachteiligte Menschen auf eine gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft zu bekommen.« Der Bedarf sei groß, der Trend gehe zum Leben im Quartier. »Ich tippe, in zehn Jahren gibt es in Köln doppelt so viele Bürgerzentren«, sagt Pöttgen. Man könnte von einem vielversprechenden Geschäftsmodell sprechen. Den Slogan dazu gibt es im BüZe Ehrenfeld schon: »Unser Business ist Begegnung.«