Geschärfter Blick für fehlende Sensibilität: Günter Bell an der Cäcilienstraße

»Gehwege müssen breit genug bleiben«

Schließen sich mehr Platz für Außengastronomie und die Rechte von Menschen mit Behinderung aus? Manchmal schon, sagt Günter Bell, Behindertenbeauftragter der Stadt Köln

Herr Bell, was haben Sie gegen Außengastronomie?

Wie bitte?! Nichts!


Die Stadt hat der Branche mehr Fläche zugestanden, um Tische vor die Tür zu stellen. So sollen die durch Corona bedingten Umsatzeinbußen abgemildert werden.

Find ich gut, ich esse und trinke auch gern draußen. Aber es muss gewährleistet sein, dass Menschen mit Sehbehinderung sich entlang von Hauswänden orientieren können, und dass nicht alles mit Tischen und Stühlen vollsteht.


Wenn keine Tische an der Hauswand stehen dürfen, befürchten viele Gastronomen, würden Außenplätze wegfallen. Die IG Kölner Gastro spricht von 50 Prozent weniger Plätzen. Was ist denn das für eine Rechnung? Dann stellen sie die Tische und Stühle halt zur Straße hin, fertig. Wo ist das Problem?


Vielleicht, weil es für Passanten leichter ist, sich durchzuschlängeln, wenn die Tische an der Hauswand stehen. Ja, aber nur, wenn sie keine Sehbehinderung haben und die Wand nicht zur Orientierung mit dem Langstock benötigen. Offenbar ist dann ohnehin zu wenig Platz auf dem Gehweg! Wir können doch nicht allen Ernstes die Gehwege bis auf eine schmale Gasse zustellen, damit Außengastronomie stattfindet.


Wie viel Platz sollte Ihrer Meinung nach bleiben?

Es geht doch nicht um meine Meinung. Es gibt Normen und Richtlinien. Die verlangen eine nutzbare Gehwegbreite von 1,80 Meter. Hinzukommen Sicherheitsabstände zum Haus und zur Straße hin. Macht zusammen 2,30 Meter. Aber die Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik gibt sich schon mit zwei Metern zufrieden. Das entspricht den Vorgaben der Sondernutzungssatzung der Stadt. Der Gehweg muss eben breit genug frei bleiben, auch für Rollstuhlfahrer und Leute, die Kinderwagen schieben.


Kölner Straßen sind oft eng. Wie soll das Problem gelöst werden?

Das haben wir doch in den vergangenen Monaten gesehen: Parkplätze müssen umgewidmet werden! Dazu gibt es schon Beschlüsse. Wo früher Autos parkten, können Restaurantgäste nun essen und trinken. Das machen Menschen mit Behinderung übrigens genauso gern wie andere.


Parkplätze kann man umwidmen, aber wo der Gehweg an die Fahrbahn grenzt, parken oft Autos.

Das Ordnungsamt ist bislang nicht gefürchtet, leidenschaftlich dagegen vorzugehen. Sind Restaurant-Tische schlimmer als Autos? Ich glaube eher, die Kollegen haben alle Hände voll damit zu tun, Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnungen zu ahnden! Deshalb liegt die Aufmerksamkeit aktuell weniger auf falsch abgestellten PKW. Es sind übrigens nicht nur Falschparker ein Problem, sondern etwa auch Aufsteller mit Werbung. Das ist nicht nur ein Thema für die Behindertenpolitik, sondern auch für die Stadtgestaltung. Es ist auch ein ästhetisches Problem.


Eine Beschlussvorlage der Verwaltung sah vor, die Rechte von Menschen mit Behinderung zu stärken. Sie wurde zurückgezogen. Wieso?

Die Beschlussvorlage hatte zwei Alternativen. Die eine entspricht dem Wunsch der Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik. Würde die Politik deren Position übernehmen, müssten wir an einigen Straßen viel wegräumen, ganz gleich, ob Parkplätze oder Flächen für Gastronomie. Die von der Verwaltung präferierte Variante lässt mehr Flexibilität zu. Aber beide Varianten wollen die Rechte von Menschen mit Behinderung stärker durchsetzen.


Aber dann ist nichts passiert.

Die Vorlage ging durch alle neun Bezirksvertretungen. Überall gab es  Änderungswünsche. In der Innenstadt mit hohem Parkdruck läuft die Diskussion eben anders als etwa in Porz. Darauf wollen wir als Verwaltung eingehen. Vielleicht müssen wir den Beschlussvorschlag mehr differenzieren. Ziel bleibt, die Belange von Menschen mit Behinderung mehr zu beachten.


Es wird oft mehr Sensibilisierungfür die Bedürfnisse von Minderheiten gefordert. Fehlt die gegenüber Menschen mit Sehbehinderung in der Gastronomie?

Auf jeden Fall. Bei Menschen mit Behinderung denken viele bloß an Rollstuhlfahrer. Warum gibt es nirgends Speisekarten in Braille-Schrift? Man könnte noch so vieles tun, um Barrierefreiheit durchzusetzen.


Wenn Sie vor einem Café Platz nehmen, können Sie das genießen? Oder fällt Ihnen nur auf, wo Barrierefreiheit verhindert wird?

(lacht) Der Blick dafür ist berufsbedingt geschärft. Wenn Tische auf den taktilen Leitstreifen stehen oder die sonst so sensible Öko-Fraktion ihre Räder darauf abstellt, ja, dann finde ich das ärgerlich. Über den Sinn der taktilen Leitstreifen muss ich mehr aufklären!