Kurze Tage, lange Mäntel: Keshav Purushotham (rechts) und brother-in-crime Niklas Schneider

Selbstgemacht und verblüffend

Achtung, Hipster-Alarm — und das in Köln! Die charismatischen Pop-Connaisseure Keshav Purushotham und Steffen »Steddy« Wilmking betreiben Papercup Records und zaubern uns ein Feuerwerk der Styles in die Playlists

Die Geschichte des Labels Papercup Records beginnt da, wo nor­malerweise Storys enden: Beim letzten Album einer Band. Timid Tiger wurden in der ersten Hälfte der Nuller Jahre bekannt als die Kölner Indie-Band mit den süßen Videos (»Miss Murray«) um einen Comic-Tiger; Gesicht der Gruppe war Frontmann Keshav Purushotham. 2009 wechselte das Line-up, Steffen »Steddy« Wilmking kam dazu, sie gingen zusammen zur Sony Tochter Columbia und waren immer noch die sym­pathische Band von Nebenan.

Nichtsdestotrotz gab es Verschleißerscheinungen und 2012, nach lange währenden Arbeiten am Album »The Streets are Black«, taumelten Timid Tiger langsam Richtung Break-up. Um das Album noch zu veröffentlichen, gründeten Purushotham und Wilmking schnell ein eigenes Label; Geburtshelfer war Stephan Rath von Buback Records. Papercup Records wart geboren — um dann erstmal wieder in der Versenkung zu verschwinden. Es standen andere ­Projekte an: Wilmking, der sowieso seit Mitte der 90er Jahre permanent als Drummer, Produzent, Masterer, Songwriter auftrat, produzierte 2011 das Album »Casper XOXO« und war in Folge ein willkommener Gast in den Studios und auf den Alben der deutschen Pop-Indus­trie-Sternchen. Purus­hot­ham ar­beitete als DJ und entwickelte allmählich sein Alter Ego Keshavara. Für die Veröffentlichung des Solo-Debüts wurde das alte Label 2016 reanimiert. »Wir wussten damals gar nicht ge­nau, was man alles mit einem Label machen kann. Es war als Ka­nal für Keshavs Output gedacht — und entwickelte sich dann halt weiter«, so Steddy im Interview.

Und was für eine Entwicklung Papercup nahm! Mittlerweile gibt es neben dem Hauptlabel Papercup noch vier weitere Sub-Labels. Da ist der Instrumental-HipHop-Ableger A Good Cup of Hope, Ambient gibt es bei Breezzze. Relativ frisch ist die Musikiste dazugekommen und ganz neu: AAa (Am Anfang angekommen). Ein kleines Imperium.

Denn Papercup setzt weniger auf Vinyl, Kassette oder gar die gute alte CD als mehr auf den Online-Markt von Streaming bis zum Digital-Verkauf. Irgendwo zwischen Spotify, Apple Music und Bandcamp hat man es sich gemütlich gemacht. Das geht nicht ganz ohne Verblüffen vonstatten: »Für mich war etwa der Erfolg von den Remixen für das Album von Roland Kaiser Wilhelm eine Überraschung. Dance-Musik lief bis dahin nicht wirklich bei uns. Doch dann kommt ein Blog und featuret auf Sound­cloud den Lucas-Croon-Remix. Plötzlich verkauft sich die Nummer hervorragend«, erzählt Steddy. Doch wie findet das Label eigentlich seine Künstler*innen? Gerade Keshav tut sich hier hervor (»Er ist unser geheimer A&R«, Steddy).Als Kenner der Kölner Szene ist er es, der hauptsächlich nach Acts sucht. So kommt immer noch ein Großteil der Künstler eben aus Köln — und aus allen Ecken der Musik. Da wären die Math-Jazz-Indie-Rocker von Infant Finches, das Ambient-Projekt Plasma Hal oder der Psych-Indie der Band ACUA. Ein breiter Einblick in die Kölner Szene.

Allein der Frauenanteil ist auffallend niedrig. »Früher machten wir Musik und es gab immer wieder die gleichen Fragen: Wo geht man damit hin? Wo bringt man jetzt raus? Das war dann auch der Hauptfaktor: Eine Plattform für uns selbst und unsere Freunde bieten«, so Keshav. Das klingt pragmatischer als es letztlich ist, die Anerkennung blieb nicht aus: ACUA wurden gerade erst zum besten Newcomer Act in NRW ausgezeichnet, Kesha­vara während derselben Preisverleihung als Outstanding Artist im Bundesland. Unglaublich für ein kleines Label, das zwar seit 2018 von dem Vertrieb Rough Trade/Good2Go unterstützt wird, dennoch zu großen Teilen in den Küchen von Steddy und Keshav organisiert und gemanaget wird.

Zwei Freunde, die Musik von anderen Freunden herausbringt: Da scheint der Begriff der »Familienbande« nicht so weit weg. Dazu passend bringt Papercup auch Alben von Keshavs Vater Ramesh Shotham raus, einem versierten Jazz- und Global-Percussionisten. Aber auch Steddy bringt seinen mittlerweile leider verstorbenen Vater ein. Das Sub-Label Musikiste ist die digitale Weiterführung des jahrzehntelang geführten Labels und Verlags gleichen Namens — ehedem betrieben von Volker Wilm­king. Hier gräbt nun der Sohn verloren geglaubte Folk-Perlen aus und sichert sie für die Nachwelt. Eine Herzensangelegenheit.

Eine andere ist die Compilation »Songs We Didn’t Dare To Put Out«: Sie versammelt zwölf Stücke, die eigentlich nie das Licht der Welt hätten erblicken sollen. Auf Nachfrage öffneten aber Bands wie Golf oder Woman, die Künstler Lambert und PeterLicht ihre Giftschränke. Diese Song-Exotica stellen sich damm doch als wahre Perlen heraus. Teilweise absurd, dann wieder sehr poppig, umweht alle Stücke ein gewisser Hauch von Experiment und Freiheit. In diesen Momenten ist es Gold wert, dass Keshav und Steddy selbst bekannte Musiker sind. Es gibt ein Grundvertrauen, das man deswegen dem Label entgegenbringt — nicht nur in diesem Fall für alle Seiten ein Gewinn.

Das alles, Freundschaften und Familie, erfrischende und experimentelle Ansätze, ein Ausprobieren immer neuer musikalischer Felder und Genres, wirkt,  als ob zwei Menschen, die ihre Erfahrungen mit der Musikwelt gemacht haben, es anders machen wollen. Steddy wiegelt ab: »Es ist nie so konkret, dass man etwas besser machen möchte, was man selbst erlebt hat. Die Zeiten haben sich einfach geändert, und wir können mit unserem Ansatz eben auch erfolgreich sein. Da kann ein Track schon mal besser laufen als bei einem Major. Das wäre früher nicht möglich gewesen.« Das bietet natür­lich gewisse Freiheiten — und die nutzt Papercup Records gerne.