Angriff der Memes: Coverillustration von »Incels«

Wenn Memes töten

Veronika Kracher zeigt die Abgründe der Incel-Bewegung auf

Frauenhass ist ein Subtext, der sich durch viele Attentate der letzten Jahre zieht — von Christchurch, Hanau und Halle bis hin zu den Amokläufen von Winnenden oder Isla Vista. Dort tötete der 22-jährige Elliot Rodger sechs Studierende an der Universität von Santa Cruz, bevor er sich selbst erschoß.

Seine Gründe legte er in einem langwierigen Text namens »My twisted world« dar. Für die Autorin Veronika Kracher ist dies eine Art Gründungsmanifest der Incel-Bewe­gung. Kurz zusammengefasst sind «INvoluntary CELibates« (unfreiwillig Zölibatäre) junge Männer, die darunter leiden, dass sie keinen Sex haben und dieses Leiden in eine Opferideologie umgedeutet haben, aus der sie einen Anspruch auf Sex ableiten, den sie wiederum mit Projektionen über weibliche Sex­ualität unterfüttern.

Veronika Kracher ist für ihr Buch dorthin gegangen, wo das Mitlesen unangenehm ist: in die Imageforen und Reddit-Threads der Incel-Community, wo diese Ideologie mit Memes und Postings zu einer subkulturellen Identität geworden ist. Dorthin mitgenommen hat sie einen Handapparat aus kritischer Theorie und Psychoanalyse. Und zurückgekehrt ist sie mit einem Buch, dass ein Internetphänomen nicht auf das Internet reduziert, sondern in den Online-Communitys der Incels Muster von Herrschaft oder Gewalt ausmacht, die gesellschaftliche Tendenzen zuspitzen.  Kracher sieht etwa in der Fetischisierung weiblicher Jungfräulichkeit unter Incels nicht nur einen gesellschaftlichen Doppelstandard am Werk, der auch im 21. Jahrhundert von Frauen noch Enthaltsamkeit fordert, während Männer ausschweifend leben können. Dies begreift sie als Kontinuität: Seit Jahrhunderten ist weibliche Jungfräulichkeit ein Ausdruck patriarchaler Herrschaft. Zu ähnlichen Befunden kommt sie, wenn sie in den Foren nach Antisemitismus, rassistischen oder homophoben Einstellungen forscht.

Bekämpfen lässt sich die Incel-Ideologie dann auch nicht nur mit Internetaktivismus allein. Kracher propagiert eine gendersensible Pädagogik, die ein reflektierendes Männerideal propagiert, das mit patriarchalen Geschlechterbildern bricht. Denn gegen eine tödliche Ideologie helfen nur radikale Forderungen.

Veronika Kracher: »Incels, Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults«,
Ventil Verlag, 276 Seiten, 16 Euro