Empörung, welche Empörung?

Der Kunstpalast Düsseldorf verirrt sich im Dschungel des Widerstands

Mit dem Aufruf »Empört Euch!« präsentiert der Kunstpalast Düsseldorf »Kunst in Zeiten des Zorns«, wie es der Untertitel besagt. Der gegenwärtig allenthalben lautwerdende Appell sich zu erheben (so eine etymologische Herleitung) wurde wortwörtlich vom Titel eines Aufsehen erregenden Essays aus dem Jahr 2010, übernommen, mit dem der damals 93-jährige Stéphane Hessel (1917–2013), ehemaliges Mitglied der Résistance und KZ-Überlebender, im Alter von 93 Jahren zum Widerstand gegen Neofaschismus und überhaupt zu einen mutigen Aufstand in Friedfertigkeit aufrief.

Empörung mag in der Tat bei manchen Besucher*innen im ersten Ausstellungsareal das wandgreifende Porträt »Bosnian Girl« (2003) von Šejla Kamerić aus Sarajevo auslösen. Der krakelige Schriftzug »Keine Zähne...? Ein Schnauzbart? Stinkt wie Scheiße? Bosnisches Mädchen!«, der quer über das Bild läuft, sei die Kopie von Wandkritzeleien eines niederländischen Soldaten in einer Kaserne bei Srebrenica, so der Saaltext. Irritierenderweise lässt das überdimensionierte Porträt in seinem wandfüllenden Format an die vielen übergroßen Modelporträts des Fotografen Peter Lindbergh denken, die vor Wochen in diesem Haus die Wände einnahmen. Gegenüber im selben Saal blinkt etwas verloren als Neonschriftzug das »Trust Women« (2018) der US-Künstlerin Andrea Bowers. Als Kontrastprogramm ist einige Schritte weiter die farbintensive Protestbanner-Collage des dissidenten russischen Kollektivs Chto Delat (»Was tun?«) installiert, die auf dem Grau der Wände sehr salonfähig wirkt.

Dagegen dokumentieren Julian Röders Fotografien nüchtern die globalisierungskritischen Proteste bei diversen Weltgipfeltreffen — und damit eher den von berechtigtem Zorn denn von blinder Wut gesteuerten Aufstand. Mit letzterer konfrontiert einen dann allerdings die Video Installation des Niederländers Erik van Lieshout, die unter den gefilmten Obdachlosen auch mal nationalistische, antisemitische Parolen laut werden lässt. Nicht so ganz im Sinne des Titelgebers der Ausstellung, der als Mitautor der UN-Menschenrechtserklärung mit seinem Empörungsappell naturgemäß Entrüstung im demokratischen Sinne meinte.

Neben altbekannten Werken gibt es in der von Linda Peitz und Florian Peters-Messer kuratierten Gruppenschau unter den vierzig internationalen Künstler*innen etliche junge, unbekanntere Positionen zu entdecken. Viele der zur Zeit Empörung auslösenden Themen werden angesprochen: vom Feminismus über Rechtsradikalismus, Antisemitismus, Kolonialismus, Klimawandel bis zu ganz aktuellen politischen Statements zu Trump. Manche Arbeiten sind zwar im Ton leise, aber in ihrer Aussage stark.

Ihre Empörung über die durch ihre Taubheit bedingte Machtlosigkeit setzt etwa die US-Künstlerin Christine Sun Kim in feinen Kohlezeichnungen »Six Types of Waitung in Berlin« (2017) symbolisch um. Ähnliches gilt für das sogenannte »Nagelhaus«, ein altes Gebäude, das der türkische Künstler Ahmet Ögüt nach einer realen Vorlage in China in einem Landschaftsmodell inmitten einer große Baugrube platziert hat, wo es ganz allein einem dräuenden Neubauboom trotzt. Schließlich hatte Stéphane Hessel in seinem Essay beobachtet, wie sehr »das im Westen herrschende materialistische Maximierungsdenken die Welt in eine Krise gestürzt hat, aus der wir uns befreien müssen«.

Von Hessels Philosophie recht weit entfernt scheint dann doch die Kettensägenskulptur »Latent Combustion« (2015) von Monika Bonvicini. Ratlos mag der Betrachter oder die Betrachterin auch vor Miriam Cahns Gemälde stehen, das unter dem geradezu programmatischen Titel »Unklar« (1997) eine hermaphroditische Figur darstellt. Die Ausstellung, im Ganzen gesehen, findet nur dank der Kraft einzelner Exponate dazu, ihrem Titel im Sinne des Titelgebers gerecht zu werden. Schade.

»Empört Euch! Kunst in Zeiten des Zorns«
Kunstpalast, Ehrenhof 4–5, ­Düsseldorf, bis 10. Januar 2021
kunstpalast.de

Der Kunstpalast ist noch bis zum 20.12. wegen der Corona-Schutzmaßnahmen geschlossen.