Hügel der Träume

Die Hubschrauberstation auf dem Kalkberg wird nie in Betrieb gehen. Eine der bizarrsten Possen der Kölner Klüngelhistorie geht damit zu Ende. Aber was wird nun aus dem Berg — und der Bauruine obendrauf? Ein Gastbeitrag von Boris Sieverts, Aktivist der BI Kalkberg

 

Hätten Stadtviertel ihre eigenen Feiertage, für Kalk, Buchforst  und Mülheim wäre der 10. September künftig einer, und nur Corona verhinderte fürs erste ein großes Freudenfest. Denn am 10. September 2020 entschied der Rat der Stadt Köln, die Hubschrauberbasisstation (HBS) auf dem Kalkberg, einer Chemiemüllhalde in Buchforst, endgültig aufzugeben. Damit erreicht eine 15 Jahre dauernde Auseinandersetzung ihr vorläufiges Ende, in deren Verlauf Fragen nach bürgerschaftlicher Mitsprache, politischer Kontrolle von Verwaltungshandeln sowie nach Öffentlichkeit und Transparenz bei wichtigen kommunalen Entscheidungen so dringlich und klar zutage traten wie selten zuvor.

In Erinnerung ist besonders die Rolle des früheren Stadtdirektors Guido Kahlen (SPD). Ihm wurde zurecht vorgeworfen, den Rat falsch informiert und systematisch manipuliert zu haben. In Vergessenheit geriet darüber beinahe, dass er das Projekt bei Amtsantritt übernommen hatte, ausgearbeitet und vorangetrieben von einer damals weitgehend der politischen Kontrolle entzogenen Feuerwehrleitung sowie einer politisch gut vernetzten Tochtergesellschaft der GAG und den Vermögensanlegern des Business-Netzwerks Rotonda. Letztere wollten am alten Standort der Hubschrauberstation am Merheimer Klinikum dichter bauen, als dies unter Erhalt der alten Station zulässig gewesen wäre. Sie sagten der Stadt einen Baukostenzuschuss für eine neue Station an anderer Stelle zu. Außerdem finanzierte die GAG auch gleich die ersten beiden Gutachten, mit denen der Kalkberg seinerzeit ins Rennen um den neuen Standort ging — das er prompt gewann.

Auf diese Weise wurde ein weiteres Immobilienkonsortium, die Grundstücksgesellschaft GSE unter Beteiligung der Stadtsparkasse, die chemische Altlast Kalkberg wie durch ein Wunder los und kassierte dafür auch noch 440.000 Euro. Dies lässt bis heute zahlreiche Fragen offen, die mit dem Beschluss zur Aufgabe der Hubschrauber­station nicht vom Tisch sind. Sie verlangen nach einer systematischen Untersuchung, die insbesondere die Rollen der Feuerwehr, der GSE, der GAG, der Rotonda, aber auch die von Amts- und Entscheidungsträger in Verwaltung und Politik untersucht. So hatte etwa die heutige Ober­bürgermeisterin Henriette Reker das Projekt seinerzeit als Umweltdezernentin als unbedenklich durchgewinkt, die Feuerwehr legte einen offensichtlich manipulierten Standortvergleich vor, ließ später mutmaßlich Boden­proben verschwinden und »überlas« Warnungen der statischen Gutachter. Die damals im Rat vertretenen Fraktionen, mit Ausnahme der Linken und der Freien Wähler, fragten viel zu lange nicht kritisch nach und übergingen Warnungen und Hinweise aus der Bürgerschaft.

Trotz all dieser Ungereimtheiten mussten erst statische Probleme auftauchen, bis die Politik sich von dem Projekt abzukehren begann: Der Hangar sackte ab. Doch die Projektverantwortlichen weigerten sich lange, die politischen Beschlüsse umzusetzen. Dies offenbarte ein grundsätzliches Dilemma der nordrhein-westfälischen Kommunalverfassung: Der Rat als demokratisch gewählter Souverän hat kaum Möglichkeiten der Sanktionierung, wenn sich Teile der Stadtverwaltung weigern, seine Beschlüsse umzusetzen. Der kompromisslose Ratsbeschluss vom 10. September war deshalb auch ein unumgängliches Machtwort.

Es passt ins Bild, dass die Hubschrauberstation auf dem Kalkberg nach alledem anmutet wie eine verlassene Festung — oder, je nach Lesart, wie ein unvollendetes Mafiaprojekt. 15 Jahre lang haben die KalkerInnen und BuchforsterInnen buchstäblich am eigenen Leibe erfahren, wie die Stadtverwaltung sich nach außen abschottet und ihre BürgerInnen und auch den Rat nicht als Dienstherren, sondern als Störenfriede bei der Umsetzung der eigenen Vorstellungen betrachtet. Ihr Widerstand gegen die städtischen Pläne für den Kalkberg war deshalb immer auch eine Selbstbehauptung, Teil der Emanzipation einer Stadt(teil)gesellschaft und der erste gemeinsame Kampf von KalkerInnen unterschiedlicher sozialer Hintergründe seit den Werksschließungen der KHD in den 90er Jahren. So ist der Kalkberg auch zu einem Symbol für stadtgesellschaftlichen Widerstand, für die Kraft sachlicher Aufklärung und— ja— auch für die Lernfähigkeit von Politik geworden. Die Frage ist nun: Steht er auch für einen neuen Umgang auf Augenhöhe von Bürgerschaft und Verwaltung?

Die Voraussetzungen sind ideal. Nicht nur liegt ein Ratsbeschluss vor, in dem eine Machbarkeitsstudie zur Umnutzung der Hubschrauberstation »unter Einbeziehung der Bürgerschaft« gefordert wird. Für den Berg und seine nun nutzlosen, statisch nach wie vor problematischen Aufbauten, bietet sich auch keine unmittelbare, kommerzielle Verwertung an. Der Widerstreit zwischen städtischen Verwertungsinteressen und gemeinwohlorientierten Nutzungsideen, wie er derzeit bei den Hallen Kalk zu beobachten ist, könnte somit entfallen. Es hat sich längst herumgesprochen, dass der Kalkberg mit seiner fantastischen Aussicht einen der wenigen qualitätsvollen Freiräume in den hoch verdichteten Stadtteilen Kalk und Buchforst darstellt. Ideen zur öffentlichen Nutzung des Kalkbergs gibt es viele — etwa aus einem Workshop der Bürgerinitiative 2015, an dem auch ArchitekturstudentInnen der FH Köln teilnahmen. Auch eine Machbarkeitsstudie im Auftrag der Stadt kam teilweise zu ähnlichen Ergebnissen. An all das könnte man jetzt anknüpfen. Zusammen mit dem kathedralenartigen Freiraum unter der Stadtautobahn und dem »kleinen Kalkberg« auf der anderen Seite der Karlsruher Straße könnte ein veritabler, kleiner Landschaftspark entstehen, der diesem postindustriellen Stadtraum gut zu Gesicht stünde.

Zunächst ist die Frage zu klären, ob und wie sich die Hubschrauberstation umnutzen lässt. Die Architektur bietet sich für manches an: von einem Café mit Außenterrasse auf den Landeplätzen bis zu Ausstellungen, Theater oder einem Jugendzentrum im Hangar und im Konferenzsaal der Einsatzleitung. Es könnte ein Ort entstehen, der nicht nur einen der großartigsten Ausblicke über die Stadt bietet, sondern an dem auch exemplarisch städtische Zukunftsthemen verhandelt werden, etwa in Form einer rechtsrheinischen Stadtteilkonferenz oder eines Zentrums für Kunst und Urbanistik.

Die Bauten der Hubschrauberstation sind zwar nicht akut einsturzgefährdet, jedoch kann niemand mit Gewissheit sagen, wie lange ihre Statik eine Nutzung zulassen wird. In eine Umnutzung sollte man deshalb nur so viel investieren, wie man schlimmstenfalls in einigen Jahren bereit ist, abzuschreiben.

Sollte eine Umnutzung unter diesen Umständen keine Option sein, bliebe wohl nur der Abriss der Hubschrauberstation. Zurück bliebe dann ein »Kalkberg pur«, eine Hochebene über der Stadt, mit 360-Grad-Blick. Wer den Kalkberg vor den Bauarbeiten für die Hubschrauberstation kannte, weiß, was für ein großartiger Freiraum das wäre, auch wenn der wilde Bewuchs von früher auf den Abdichtungsfolien, die unter der frischen Grasnarbe liegen, nicht zurückkehren wird. Ideen wie »die längste Rutsche der Stadt«, »urban gardening am Südhang«, »Bergtafel zum gemeinsamen Speisen«, »barrierefreier Rundweg«, »Sommerkino und BMX-Park unter der Stadtautobahn« sollte ohnehin nichts im Wege stehen. Und wer weiß? Vielleicht bekommt der Gipfel des »Monte Kalk«, wie ihn die italienischstämmigen KalkerInnen manchmal nennen, eines Tages ja sogar Anschluss an ein Kölner Seilbahnnetz.