»Die Musik hat keinen Ort, die spielt da irgendwo im Universum«, Foto: constantinflux.com

Das Universum als Mosaik

Tau 5 spielen hochkomplexen Jazz — und beamen ihn in die Welten von Pop und Elektronik

Wieder den richtigen Riecher gehabt — muss man neidlos anerkennen: Die Macher von Staatsakt, hierzulande die wichtigste Adresse für Indie, haben mit Fun In The Church ein Sublabel für Jazz ins Leben gerufen. Das Jazz-Geschehen in Deutschland ist, wie sagt man so schön?, »definiert«. Wie ­will man da als Newocmer und Quereinsteiger noch einen Blumentopf gewinnen? Nun, indem man »Kreise« von Tau5 veröffentlicht.

Das Debütalbum des Berliner Quintetts (mit Kölner Außenstelle) stellt Jazz-Konventionen auf den Kopf, hält ihnen aber auch die Treue. Es ist radikal elektrifiziert — und bleibt doch stets nahbar. Es ist durchkonzipiert bis in die Haar­spitzen aller Beteiligten und lebt doch ganz von der Improvisation und Spontaneität. Nicht zuletzt durch die digital gemorphten Sounds, die die federnden Klänge von Saxofon und Schlagzeug in eine kosmische Fangopackung verwandeln, ist es in diesen Tagen die nötige Dosis Klangheilung für den emotional verwahrlosten ­Pop-Hipster. 

Tau 5 gruppiert sich um die Achse von Philipp Gropper (Saxofone) und Moritz Baumgärtner (Schlagzeug), beide haben in den letzten Jahren ihr Gespür für Jazz-Innovationen zur Genüge unter Beweis gestellt. Hinzukommen Philip Zoubek am Klavier und Synthesizer, Petter Eldh am E-Bass und der Produzent Ludwig Wandinger. »Outer­national Music for ­Interplanetary People« lautet das Label-Motto. Als wäre es für Tau 5 erfunden.


»Kreise« erscheint mitten in der Corona-Pandemie. Damit ist es regelrecht zur Einsamkeit verdammt, denn es kann nicht, wie das sonst üblich ist, eine Tour promoten und umgekehrt — auf einer Tour promotet werden. Wie ist eure Haltung zu dem Album?

Philipp Gropper: Wir haben drei Jahre daran gearbeitet, waren dreimal im Studio, haben ediert und Overdubs eingespielt und irgendwann in blindem Vertrauen das komplette Album an Ludwig Wandinger zur finalen Produktion ge­geben. Eine Odyssee. Das Album steht auf jeden Fall für sich. Trotzdem wollen wir natürlich den Sound auf die Bühne bringen, das konnten wir erst einmal, im Mai auf dem Moers Festival. Es hat ein riesiges Potential, gerade live.


Durch die elektronische Bearbeitung klingt die Musik verfremdet, in sehr ungewöhnliches Licht getaucht. Trotzdem ist sie unverkennbar: die Jazz-Sprache. Wie wichtig ist es euch, in einer bestimmten Tradition des Jazz zu verorten?

Moritz Baumgärtner: Mir ist es überhaupt nicht wichtig. Oder, nein, indirekt: Wenn man Tradition im Jazz als ständige Neugierde de­finiert, als Aufgabe, Neues zu suchen, dann bin ich in der Tradition verwurzelt.

Gropper: Es geht eher um eine ­Haltung als um konkrete musika­lische Bezüge. Und diese Haltung ist dadurch geprägt, herauszufinden, was unsere Interessen, unser Statement ist. Es geht nicht darum, naiv etwas zu kopieren.


War euch zu Beginn der Produktion schon klar, worauf eure Arbeit hinauslaufen würde?

Gropper: Nein. Wir kamen immer wieder an den Punkt, wo wir un­zufrieden waren, wo wir Material verworfen und neues ein­ge­spielt haben. Die Zeit bleibt nicht stehen, die Entwicklung der Musik der Welt ging rasend schnell voran, zwischendurch hatten wir uns manchmal verirrt.

Baumgärtner: Ein Album setzt sich immer aus verschiedenen Mo­mentaufnahmen zusammen, der Moment, wo die Kompositionen geschrieben wurden, wo sie geprobt wurden, eingespielt.

Jetzt aber gab es ganz viele dieser Mo­men­te, der ganze Prozess de­­finierte sich über die Eingriffsmöglichkeiten: Wir haben eine drei Jahre alte Aufnahme mit einer aus dem letzten Jahr gemischt, dann hat Philipp Overdubs eingespielt und schließlich ging das Material noch an Ludwig, der es elektronisch bearbeitet hat. Diese Entwicklung des Albums ist eigentlich hörbar, diesen Prozess wollten wir zeigen — das war von Anfang an klar.

Gropper: Die Arbeit war wie ein Mosaik, an dem wir alle gearbeitet haben. Dadurch entstand gegen­seitiges Vertrauen, das sich dann auch auf Ludwig übertragen hat, der den letzten Schritt gemacht hat. Wir stehen auf das, was du machst, haben wir ihm gesagt, also mach einfach. Und das hat sich künstlerisch voll a usgezahlt.


Wie verhindert man, dass man sich in diesem komplexen Aufnahmeprozess verliert?

Baumgärtner: Das kann man nicht verhindern. Ich glaube, es geht auch nicht darum, es verhindern ­zu wollen. Es geht darum, zu akzeptieren, dass es unendlich viele Möglichkeiten gibt und man sich im Austausch darauf einigt, welchen Faden man ergreift. Der Austausch zwischen mir und ­Philipp war da sehr wichtig.

Gropper: Unsere Herangehensweise besteht nicht in Kontrolle, sondern im Fragen: Was ist das Spezielle am Sound der anderen, worauf wollen wir gemeinsam heraus?


Bis auf Philip Zoubek, der in Köln lebt und arbeitet, seid ihr alle aus Berlin. Welche Rolle spielt euer urbanes Umfeld? Inwiefern ist es eine Berliner Platte?

Gropper: Das ist schwer zu sagen. Ganz am Anfang dieses Projektes wollte ich eine Band, die auch in Clubs spielen kann. Ich habe dafür auch sehr früh Philip Zoubek ge­fragt, der völlig frei, völlig unbefangen arbeitet. Ich habe nicht von einem Ort aus gedacht, sondern mich nach Musikern umgeschaut, mit denen ich andere Ideen um­setzen kann. Das stimmt schon, in Berlin findet man sie gehäuft, in Köln aber auch. Spielen wir deshalb einen Berliner Sound? Oder einen Kölner? Was macht den aus? Die Szenen sind dermaßen gewachsen, unübersichtlich geworden und vernetzt, dass sich eindeutige Identitäten nicht mehr finden lassen.

Baumgärtner: Philipp und ich wohnen zweihundert Meter Luftlinie voneinander entfernt. Also klar, unsere Infrastruktur ist Berlin. Die Musik hat aber keinen Ort, die spielt da irgendwo im Universum.


Das Album verfolgt eine sehr eigne Dramaturgie. Kurze Stücke sind prominent platziert, das längste fast versteckt am Schluss. Wie habt ihr diese Dramaturgie entwickelt?

Gropper: Das kann ich dir ganz einfach beantworten: Was macht beim Hören am meisten Spaß? Was hält die Spannung, ohne dass es absehbar ist? In der Praxis war das aber nicht einfach, denn jedes Stück dieses Albums ist in sich vielschich­tig, steht für sich, führt nicht zwangsläufig zum nächsten. Das war die Herausforderung bei der Zusammenstellung für das Album.

Baumgärtner: Kein Stück verkörpert das Zentrum des Albums, das war uns wichtig, alle — egal ob ganz kurz oder zehnminütig — sind gleichwertig. Sie sollen unterschied­liche Perspektiven eröffnen, wir bieten eine maximal große Ober­fläche an, der man sich aus den verschiedensten Winkeln nähern kann. Im besten Fall entstehen dadurch beim Hören mehr Reibung, mehr Auseinandersetzung.


Versteht ihr das Album Gesamtkunst?

Gropper: Nein, es muss unbedingt auf die Bühne. Wir sind alle Live-Musiker, haben von unseren Konzerten gelebt. Ohne Konzerte geht es nicht weiter, es ist eine ständige Rückkopplung — zwischen den Musikern, aber auch mit dem Pub­likum.

Baumgärtner: Live-Streams ersetzen Konzerte nicht annähernd. Eine Improvisation ist vor Publikum eine völlig andere als vor einer Kamera oder im Studio. Es ist fast schon spirituell: Bei einem Konzert sind alle Teil der Improvisation. Mit anderen Leuten in einem Raum sein, sich auszutauschen nur über die Musik als Medium, ohne Worte — das ist schon was Besonderes.


Wie wollt ihr das Album live um­setzen? Wollt ihr es überhaupt?

Gropper: Als wir für den Auftritt in Moers geprobt haben, war der Anspruch eigentlich sofort klar: Wir wollten dem Sound des Albums sehr nahe kommen. Ich habe zum Beispiel improvisierte Saxofon-Linien transkribiert und daraus feste Bestandteile von Songs gemacht.

Baumgärtner: Und das war wiederum Anlass, um die Songs weiterzuentwickeln, neue Formen für sie zu entwickeln. Das Album ist in sich geschlossen, das stimmt. Aber er ist auch eine Plattform, von der aus wir weitergehen können. Wenn wir wieder auf der Bühne stehen können, werden wir dieses Feedback-Prozess noch verstärken: dass wir das Material annehmen, es aber auch jeweils neu ausprobieren. Das generiert Energie.

Gropper: Wir sind alle viel zu sehr Improvisatoren, um uns an einen Sound zu binden. Das ist sowieso klar.

Tonträger: Tau5, »Kreise« (Fun in the Church/Staatsakt/ H‘Art) ist bereits erschienen (die Vinyl-Aushabe erscheint am 18. Dezember)

Stream: arte.tv/de/videos/