Erfrischend anders: Marco (links) und Dario Zenker

Eigentlich keine DJ-Musik

Brüderpaar, DJ-Duo und Produktionsteam: Die Gebrüder Zenker sind eine eigene Marke im Techno-Universum

Im Techno geht es doch meist berechenbar zu, soll auch so sein. Da hämmert die Kick beständig auf der 1 bis 4, nur ausnahmsweise dürfen einzelne Elemente wie Synth und Percussion aus der Reihe tanzen und unberechenbare Dynamiken erzeugen. Nicht so beim Sound der Zenker Brothers und ihren Stammkünstlern auf dem in München beheimateten Label Ilian Tape (iliantape.de). Mit ihrem Label haben sie die Entwicklung des Genres in den letzten zehn Jahren maßgeblich mitbeeinflusst. Obwohl beide musikalisch eher ungewöhnliche Einflüsse mitbringen. Warum macht gerade das ihren Sound so anders — wie man auch jetzt auf dem frisch erschienen Album »Cosmic Transmissions« hören kann?

Zunächst: Dieser Techno fühlt sich erfrischend anders an. Die Beats stolpern hier gerne kreuz und quer durch das Raster, und selbst wenn ein Track im geraden 4/4-Takt wummert, bewegt sich drumherum so viel Getöse, dass der Sound als ganzer wieder unvorhersehbar wirkt. Diese an HipHop und Drum & Bass der 90er Jahre geschulte Produktionstechnik bietet ständig Überraschungen und hat sich mit ihrer schwankenden, versprengten Energie eine ganz eigene Fan-Gemeinde erspielt.

2020 veröffentlichten die Zenkers unter anderem das Album ihres italienischen Kollegen Andrea sowie zahlreiche EPs von anderen Künstlern wie dem deutschen Skee Mask oder dem britischen Techno-Veteranen Surgeon. Es war ein außergewöhnlich starkes Jahr, das nun auch noch vom Album der beiden Brüder selbst gekrönt werden soll.

»Cosmic Transmission« ist die zweite LP von Marco und Dario Zenker und macht sich von Beginn an frei vom Dancefloor-Diktat. Es startet ambient und schwerelos, stolpert langsam dubbig los und vereint schließlich in sich all die Qualitäten, welche Ilian Tape über die letzte Dekade hinweg kultiviert hat. Allen voran die hörbare Liebe der beiden Brüder für HipHop-Instrumentals aus den 90er Jahren und eine vom Cannabis-Qualm geschwängerte, psychedelisch-drückende Atmosphäre. Trip-Hop lässt grüßen, allerdings in einer ausgehöhlten, vertrippten Edition (»Transforming Well«), während gegen Ende der Platte Synth-Arpeggios dominieren.

Diese Dekonstruktion von Techno schlägt zwar eine weniger Club-taugliche Richtung als die bisher im Jahr erschienenen Ilian-Tape-EPs ein, vertritt gleichzeitig aber konsequent den eigenen Label-Ethos, der seit jeher für ausgefallene Grooves und überraschende Arrangements steht. Der Club als Referenz ist selbstverständlich nicht wegzudenken, tritt auf »Cosmic Transmissions« jedoch in den Hintergrund. Man stelle sich stattdessen eine mit den Brüdern besetzte Raumstation vor, die sich auf schlingerndem Kurs mit Vollgas durchs Weltall bewegt.

Das erinnert teils an bassige Electronica aus dem Warp-Katalog (»Natural Connection«), dann wieder hagelt es bösartige Breakbeat-Workouts (»Sphere Force«). Schließlich lässt sich über das Album sagen, was die Zenkers mal zur Musik von Skee Mask, ihrem Label-Kollegen in einem Interview geäußert haben: »Es ist eigentlich keine DJ-Musik, dafür ist sie zu komplex und arrangiert.« Denn die rastlose, psychedelisch Energie von »Cosmic Transmissions« entbehrt sich der DJ-Tauglichkeit und kommt immer genau dann mit einer neuen Idee um die Ecke, wenn man sie am wenigsten erwartet.

Vielleicht ist diese Innovationslust auch der ungewöhnlichen geografischen Verortung der Zenkers in Süddeutschland zu verdanken. Im Gegensatz zu Orten wie Detroit oder Berlin, die stark von ihrer Techno-Geschichte besetzt sind, geht man in München ohne stilistische Einfärbungen ans Produzieren.

Trotzdem hatten die Zenkers schon früh (Elternhaus-)Kontakt mit den Größen der elektronischen Musik. Ihr Vater beherbergte regelmäßig tourende, befreundete DJs aus Übersee. Erst Jahre später wurde den Brüdern bewusst, was es bedeutete, einen Anthony »Shake« Shakir als Frühstücksgast gehabt zu haben. Dario, damals gerade erst 15 Jahre alt und bereits mit Psytrance-Partys infiziert, wurde wenig später selbst Techno-DJ, während sein fünf Jahre jünger Bruder Mario sich zunächst von Skatepunk zu Dub und Reggae hangelte und dann erst eine Leidenschaft fürs Produzieren entwickelte.

Die gemeinsame Passion für elektronische Musik brachte die zuvor auseinander strebenden Geschwister wieder näher, das Label folgte bald. Seit 2011 treten sie zusammen als Zenker Brothers in Erscheinung und sind heute nicht mehr aus der globalen Techno-Szene wegzudenken.

Ihr einzigartiger Stil, der Techno immer wieder auf den Kopf stellt und aus einer unkonventionellen  Perspektive betrachtet, hat gerade denjenigen Hoffnung gegeben, die zwar auf Techno-Raves gehen, sich insgeheim aber nach der unberechenbaren, explosiven Energie von Drum & Bass sehnen. Der organisch gewachsene Künstlerstamm von Ilian Tape, der eine Vision teil und sich ständig gegenseitig inspiriert, verspricht auch für die nächste Dekade eine Reihe von Höhepunkte.