Walid Raad, »I long to meet the masses once again XVII«, 2019 / 2020, © Michal Zietek / Walid Raad

Der orientalische Rubens

Walid Raad spielt in der Kunst-Station Sankt Peter mit kulturellen Erzählungen

Die flüchtigen Formen haben sich nur zeitweilig in Sankt Peter niedergelassen, jederzeit bereit, über die Wände zur nächsten Station zu huschen. Derweil breitet sich ihre ornamentale Vielfalt flächendeckend aus, um schließlich das vom einfassenden Holzrahmen vorgegebene Format von Rubens »Kreuzigung Petri« auszufüllen. Das prominente Gemälde ist derzeit zu Restaurationszwecken abgehängt. In der Ausstellungsreihe »Replace Rubens« reagiert nach Gerhard Richter der libanesisch-amerikanische Künstler Walid Raad (*1967) auf die hinterlassene Leerstelle mit dieser eigens für St. Peter konzipierten Installation, deren schon zum Jahresanfang festgelegter Titel »I long to meet the masses once again« auf die Pandemie-bedingte Isolation gemünzt zu sein scheint.

In Raads freier Interpretation, ja Simulation des fehlenden Gemäldes zeichnen sich helle vegetabile Formen auf dessen Rückseite ab und besetzen sie mit einem Motivrepertoire aus einem anderen Kulturkontext. Die filigranen Blüten und Blattranken entstammen dem Dekor der Iznik-Keramik, deren Produktion in Westanatolien zur Entstehungszeit des Rubens-Gemäldes im späten 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte. Die zarten Spuren verbildlichen in doppelter Hinsicht eine vormalige Anwesenheit: Als Zeichen eines in Vergessenheit geratenen orientalischen Formenguts treten sie zugleich stellvertretend für das Rubens-Gemälde in Erscheinung.

Es sind solche Bewegungen von Kulturen und die damit einhergehende Umschichtung ihrer Erzeugnisse, die das Werk Walid Raads mit seiner eindrucksvollen Kombination aus wissenschaftlich-kritischen Methoden und fiktiven Berichten beleuchtet. Auch die Narration, die Raad um die monumentalen Skulpturen im Kirchenraum spinnt, kreist um Fragen von Authentizität und stellt zwei zu Beginn des libanesischen Bürgerkriegs 1975 in Beirut abgebaute und eingelagerte Denkmäler in den Mittelpunkt. Tatsache und Täuschung, imaginierte und historische Wirklichkeit durchdringen sich.

Folgt man Raads Fährte, so erfährt man, dass die Denkmäler später in Begleitung des verantwortlichen Konservators nach Köln ausgeführt und ohne Aufbauanleitung errichtet wurden. Zur Wiederherstellung ihrer endgültigen Gestalt — und Konstruktion einer brüchigen Wahrheit — war allein die persönliche Erinnerung des Konservators ausschlaggebend.

Kunst-Station Sankt Peter, Jabachstr. 1, Mi–So 12–18 Uhr, bis 7.2.2021

Vortrag von Johan Holten, Direktor der Kunsthalle Mannheim, am 4.12., genaue Modalitäten: sankt-peter-koeln.de