»Kein schöner Archiv«: Das Impulse Festival resümiert den Lockdown, Foto: Robin Junicke

This is not a Festival

Lernen aus dem Lockdown denkt laut über das Freie Theater nach

 

»Ein Dokument des Verlusts, eine Leerstelle« sei das Buch, so der Künstlerische Leiter des Impulse Theater Festivals Heiko Pfost. Im Sommer 2020 hätte das Festival seinen 30. Geburtstag feiern sollen, samt einer Akademie zur Festivalgeschichte. In reduzierter Form fand es im Internet statt. Nun erschien aus dessen Reihen »Lernen aus dem Lockdown? — Nachdenken über Freies Theater«. Das Fragezeichen ist bewusst gesetzt. Dem neoliberalen Narrativ, kreativ zu werden in der Krise, mit noch weniger Mitteln, noch genialer zu werden, dem geht der Band nicht auf den Leim. Das Lernen wendet sich der Reflexion und Analyse zu, aus ihm heraus lasse sich ein anderes Freies Theater entwerfen. Theaterwissenschaftlerin Stefanie Werner spürt der Wortbedeutung von Pause nach und findet: Sie berge eine »Handlungsoption aus dem Potenzial der Unterbrechung heraus, die nicht wieder aufnimmt, was vorher schon ein Problem war«.

Michael Anoff und Nuray Demir, Initiator*innen von »Kein schöner Archiv« widmen sich dem, was vorher schon Problem war und in der Coronakrise mit Scheinwerferlicht ausgeleuchtet wurde: »Diversity« fand hauptsächlich auf der Bühne statt, postmigrantische Künstler*innen performten, wurden kuratiert — und besetzen selten abgesicherte Stellen. Der Lockdown traf sie besonders hart.

Hart urteilen die beiden über die Unfähigkeit des Freien Theaters unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen. Das Freie Theater sei für viele schon immer im Lockdown gewesen und Social Distancing schon lange Programm. 2018 haben nur zehn Prozent der Bevölkerung öffentlich geförderte Kultureinrichtungen genutzt.

Ausschlussmechanismen im Freien Theater betrachten noch weitere Beiträge des Sammelbands. Klasse und soziale Herkunft sind analog zum Online-Impulse-Festival auch im Buch Thema. In einer Szene, in der nur Auserwählte von ihrer künstlerischen Arbeit leben können, sind andere Geldquellen von großer Bedeutung, zum Beispiel ein Erbe.

Weitere Schwerpunkte des Bands sind die Digitalität des Theaters im Lockdown, die Verletzlichkeit der Körper in Zeiten eines Virus, sowie das Grundeinkommen und Förderpolitiken. Mit 30 Künst­le­r*innen und Kultur­politike­r*in­nen und 28 Beiträgen scheint es fast, als hätten die Festival-Macher*innen das Buch als unmöglichen Ort der Begegnung schaffen wollen — niemand darf fehlen. Damit droht es aber in seiner Perspektiven- und Themenvielfalt auseinanderzubrechen. Auch wenn ein Buch kein Festival ist, sollte dieses doch eher wie ein Festivalprogramm gelesen werden: Nach Neigung die Beiträge selber auswählen.

Haiko Pfost, Wilma Renfordt, Falk Schreiber, NRW KULTURsekretariat, Impulse Theater Festival (Hrsg.): Lernen aus dem Lockdown?

Nach­denken über Freies Theater, Alexander Verlag 2020, 232 Seiten, 14 Euro