Hoffentlich bald Baudenkmal: Kraftwerk im Niehler Hafen

»Wir haben die Rheinenergie wachgerüttelt«

Die Energiewende wird günstiger als gedacht, sagen Aktivisten der Klimawende Köln im Interview

Sie wollten Ihr Bürgerbegehren 2020 in den Stadtrat einbringen. Liegt es an Corona, dass daraus nichts geworden ist?

Tim Petzoldt: Ende Februar haben wir der Verwaltung das Bürgerbegehren vorgelegt und die Kostenschätzung beantragt. Die ist notwendig, die Kosten müssen auf den Unterschriftenlisten genannt werden. Damals haben wir gedacht: Das dauert vielleicht sechs, acht Wochen. Die Kostenschätzung kam dann Ende August. Die Fragestellung war komplex. Wir haben Verständnis, dass das in diesen Zeiten länger dauert. Aber wir hatten uns von der Kostenschätzung mehr erhofft.

Inwiefern?

Christian Althoff: Die Kämmerei hat die Kostenschätzung an die Rheinenergie delegiert. Herausgekommen ist eine Projektion auf das Jahr 2030. Eine Antwort auf die Frage, wie sich die Situation 2030 darstellt. Wir hatten eine fundamentale, komplexere Berechnung erwartet: Welche Investitionen sind notwendig, um Erneuerbare Energie auszubauen? Welche Einsparungen ergeben sich daraus zukünftig? Wir sind nicht zufrieden mit der Kostenschätzung, aber wir haben sie genommen, um endlich loszulegen. Seit September sammeln wir Unterschriften für unser Bürgerbegehren.

Sie haben selbst eine Kostenschätzung vorgelegt. Die Stadt kommt auf Kosten von bis zu 247 Mio. Euro pro Jahr ab 2030. Sie kommen auf jährliche Einsparungen von bis zu 119 Mio. Wer hat denn nun Recht?

Althoff: Wir haben uns an dem Gutachten des Wuppertal-Instituts orientiert, das die Kämmerei für die Kostenschätzung in Auftrag gegeben hatte. Die Kosten setzen sich aus verschiedenen Posten zusammen. Ein offensichtliches Beispiel: Die Rheinenergie veranschlagt für ihr Kohlekraftwerk in Rostock 37,4 Mio. Euro Gewinn pro Jahr. Seit dem Kauf 2012 hat die Rheinenergie in jedem Jahr Verluste mit dem Kraftwerk gemacht. Seit dem vergangenen Jahr ist es abgeschrieben, jetzt hofft man auf Gewinne. Aber 37 Mio. Euro pro Jahr? Das ist ausgeschlossen. Die Rheinenergie geht zudem davon aus, dass bis 2030 Windenergie so teuer zu erschließen ist wie heute. Ab 2030 sei sie dann genauso günstig wie Graustrom. Das Wuppertal-Institut sagt, man müsse mit einem linearen Rückgang der Kosten rechnen. Das führt zu einer Minderung der geschätzten Kosten von 57,5 Mio. Euro.

Eine große Differenz sehen Sie bei den CO2-Zertifikaten.

Althoff: Derzeit emittiert die Rheinenergie 2,2 Mio. Tonnen CO2 mit ihren Kraftwerken in Köln. Legt man die Angaben der Rheinenergie zugrunde, würde sie 2030 1,9 Mio. Tonnen CO2 emittieren. Für diese Emissionen muss sie Zertifikate erwerben. Die Rheinenergie hat hier mit 31 Euro pro Tonne gerechnet. Das Wuppertal-Institut geht von 89 Euro pro Tonne aus. Wenn die Rheinenergie in 2030 keine CO2-Zertifikate mehr kaufen müsste, spart sie in diesem Szenario natürlich die gesamten 110 Mio. Euro pro Jahr.

Ihr Bürgerbegehren zielt auf Strom ab, in der Kostenschätzung geht es auch um Wärme. Warum?

Althoff: Die Rheinenergie betreibt Kraftwerke mit einer sogenannten Kraft-Wärme-Kopplung, bei der die Abwärme der Energiegewinnung genutzt wird. Aktuell beträgt der Anteil der Erneuerbaren Energien im Strommix in Deutschland 50 Prozent. Die Rheinenergie geht davon aus, dass es 2030 64 Prozent sind. Realistisch ist ein höherer Anteil — 80, vielleicht sogar 115 Prozent. Wenn die Erneuerbaren Energien 2030 so stark sind, werden Kraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung häufig nicht laufen können, weil genug Erneuerbarer Strom im Netz ist. Die Rheinenergie muss unabhängig von unserem Bürgerbegehren sehen, woher sie 2030 Wärme bekommt. Trotzdem tauchen 104 Mio. Euro in der Kostenschätzung auf, die unserem Anliegen zugerechnet werden.

Rechnet sich die Rheinenergie die Energiewende teuer?

Petzoldt: Wir haben vielmehr das Gefühl, dass die Rheinenergie erst jetzt begonnen hat, sich mit der Energiewende ernsthaft auseinanderzusetzen. Man kann schon sagen: Wir haben die Rheinenergie wachgerüttelt.

Die Rheinenergie hat jüngst aufgezeigt, wie das Unternehmen bis 2040 klimaneutral werden möchte.

Petzoldt: Die Rheinenergie gewinnt derzeit nur 5,9 Prozent ihrer selbst erzeugten Energie durch Erneuerbare Energien. Der Rest ist fossil. Auf der Webseite sieht man Windräder und Solaranlagen, aber nicht die Kraftwerke. Öffentlichkeitsarbeit für Klimaschutz ist super, aber…

Althoff: …man findet keine detaillierten Angaben. Es wird angedeutet, wie die Rheinenergie bei Wasser, Strom und Wärme bis 2040 klimaneutral werden will. Einiges klingt realistisch, anderes nicht, das meiste kann man ohne weitere Informationen nicht nachvollziehen. Viele CO2-Einsparungen liegen weit entfernt. 2030 liegt die Rheinenergie nur zehn Prozent unter dem CO2-Ausstoß von heute. Sie will erst 2038 ihr Kohlekraftwerk in Rostock vom Netz nehmen. Ein großer Posten ist 2040 die Umstellung ihrer Erdgas-Kraftwerke auf Wasserstoff — die ist spekulativ.

Wie reagiert die Politik auf Ihr Anliegen?

Althoff: Wir sind in Gesprächen mit der Politik — über die Kostenschätzung, die ja den städtischen Haushalt betrifft, und die Klimaschutzziele der Rheinenergie.

Petzoldt: Wir wünschen uns, im Dialog mit der Rheinenergie auf Erneuerbare Energien umzustellen. Aber wir sehen nicht nur die Rheinenergie in der Verantwortung: Wir als Stadtgesellschaft müssen einen Weg finden, klimaneutral zu werden. Wer dazu einen Beitrag leisten will, unterschreibt unser Bürgerbegehren.

Klimawende Köln ist eine überparteiliche Organisation, die sich für den Klimaschutz einsetzt. Seit ­September sammelt Klimawende Köln Unterschriften im Rahmen eines Bürger­begehrens, mit dem man das städtische Tochterunternehmen Rheinenergie dazu verpflichten möchte, spätestens ab 2030 ausschließlich Strom aus Erneuerbaren Energien anzubieten. Weitere Informationen unter klimawende.koeln