Kleine Pflanze, große Wirkung

Microgreens sind ein Ernährungstrend. Die kleinen Pflanzen werden mittlerweile auch in Köln angebaut — und sind mehr als bloßer Blickfang

In Neuehrenfeld trifft Mobilität der Vergangenheit auf Lebensmittel der Zukunft. In der Werkstatt eines ehemaligen Autohauses an der Liebigstraße stehen Jan Sommer und Cristian Wedgwood vor einem deckenhohen Lagerregal. Auf den Regalböden liegen dünne elektrische Heizmatten, von oben scheinen 8-Watt-LED-Lämpchen. Dazwischen stapeln sich flache Setzkästen mit kleinen Pflanzen. »Vertikaler Anbau«, sagt Jan Sommer und blickt am Regal entlang nach oben. »Für Microgreens braucht man kaum Platz — und sonst eigentlich auch nicht viel.«

Sommer und Wedgwood sind zwei der drei Gründer von Nexus Farms. Seit wenigen Monaten baut das Kölner Start-up sogenannte Microgreens an. Das sind junge Keimpflanzen. Kurz nach den Keimblättern wachsen Pflanzen die ersten richtigen Blätter, die man ernten und essen kann. Deshalb werden Microgreens auch »Micro Leaves« genannt — Mini-Blätter. Anders als Sprossen sind Microgreens keine Keimlinge. »Man kann verschiedenste Pflanzen und Samen verwenden«, sagt Jan Sommer von Nexus Farms. Kräuter, auch Salate oder Kohl. In den Regalen in der Neuehrenfelder Autowerkstatt wuchs schon fast alles: Brokkoli, Senf, Erbsen, Sonnenblumen, Grünkohl oder Amarant. »Nur Nachtschattengewächse funktionieren nicht«, sagt Cristian Wedgwood. Junge Tomaten- oder Paprikapflanzen schmeckten bitter und seien teilweise gar giftig.

Die Gründer Sommer und Wedgwood schließen gerade ihr Studium an der TH Deutz ab, sie haben sich im Master-Studiengang »Natural Resources Management« kennengelernt. »Wir beschäftigen uns schon seit eineinhalb Jahren mit Urban Farming«, erzählt Sommer. Zunächst widmeten sie sich Aquaponic-Systemen, einer speziellen Aquakultur, in der die Aufzucht von Fischen und der Anbau von Pflanzen kombiniert werden. Mittlerweile liegt ihr Augenmerk auf »Superfoods aus Ehrenfeld«: Microgreens. »Wir haben uns fast alles selbst beigebracht«, erzählt Jan Sommer. Die urbanen Gärtner haben Internet-Videos geschaut, andere Anbieter um Rat gefragt und vor allem: viel ausprobiert. Welche Samen sind geeignet? ­Welche Tempe­ratur und Luftfeuchtigkeit brauchen die Pflanzen? Was überzeugt geschmacklich und optisch?

Nexus Farms liegt im Trend. Microgreens sind jüngst populär geworden. Die Jungpflanzen gelten als gehaltvoll, weil sie bereits alle Inhaltsstoffe haben, die sie für ihre spätere Entwicklung benötigen. Sie sind reich an Vitaminen, etwa Vitamin C, B6 oder E, Mineralstoffen und Spurenelementen. Sie enthalten bis zu 40-mal so viele solcher Vitalstoffe wie dieselbe Menge an ausgewachsenen Pflanzen. Zudem finden sich in ihnen sogenannte sekundäre Pflanzenstoffe. Microgreens treffen den Zeitgeist der Ernährung, der in der Gesundheit und Effizienz immer bedeutsamer wird. Microgreens als »Vitaminbomben« und »Powerpflanzen« vereinen beides — wenig Essen, viel Wirkung.

Microgreens haben auch das Interesse der Industrie geweckt. Das zeigt ein Blick in die USA. »Der Markt dort ist fünf Jahre weiter«, sagt Cristian Wedgwood, selbst gebürtiger US-Amerikaner. Mittlerweile sind Microgreens dort nicht nur für wenige Dollar in der Frischeabteilung von Supermärkten zu haben. Sie ziehen auch das Interesse von millionenschweren Investoren an. »Das läuft ab wie in der Tech-Industrie«, erzählt Wedgwood. Marktführer AeroFarms etwa buhlt bei Risikokapitalgebern um dreistellige Millionenbeträge für den Bau riesiger Gewerbehallen, in denen sich Nutzpflanzen bis unter die Decke stapeln. Die Entwicklung erreicht auch Europa. In der Nähe von Kopenhagen entsteht eine der weltweit größten »Vertical Farms«. Microgreens gehören bei fast allen Indoor-Landwirten zum Sortiment.

Microgreens bieten qua Natur gute Voraussetzungen für lohnenswertes Investment. »Durch den vertikalen Anbau bracht man extrem wenig Fläche«, sagt Jan Sommer. Zudem wachsen die Pflanzen schnell, nach etwa einer Woche sind sie erntereif. »Erbsen brauchen zehn Tage, die meisten anderen Sorten nur sieben«, so Sommer. »Wir können auf Bestellung produzieren.« Was Microgreens außerdem für umweltbewusste Konsumenten und damit auch für Investoren interessant macht: Man kann sie in Städten anbauen. Die Transportwege sind kurz, die Logistik simpel, der CO2-Abdruck klein.

Von großen Lagerhallen mit meterhohen Regalen ist Nexus Farms, das seine Pflanzen derzeit über die regionale Lieferkiste Himmel un Ääd vertreibt, noch weit entfernt. In Deutschland gibt es bisher nur wenige Start-ups, die sich auf Microgreens spezialisieren. »In Deutschland gibt es Kresse, und sonst nicht viel«, sagt Sommer. »Microgreens — das klingt natürlich erst mal cool, aber letztlich muss sich dafür hier erst ein Markt entwickeln.« Neben dem Einzelhandel sieht Nexus Farms in der Gastronomie mögliche Abnehmer.

Vor allem für die gehobene Küche sind die Jungpflanzen interessant. Die Kölnerin Manuela Rüther hat mehrere Jahre in Sternerestaurants gearbeitet, mittlerweile ist sie als Fotografin und Autorin im Bereich Essen tätig. Vor drei Jahren erschien ihr Buch »Micro Greens, Micro Leaves – Grüne Power aus dem Küchengarten« im AT-Verlag. Rüther hebt die vielfältigen und intensiven Aromen der kleinen Pflanzen hervor: »Der japanische Blattsenf Mizuna schmeckt leicht senfartig und aromatisch-bitter. Und Grünkohl besticht durch Zartheit sowie würzig-kräuterige, leicht bittere Aromen.« In Salaten, Pasta, Suppen oder Desserts können Microgreens kulinarisch interessant sein. Und viele der Pflänzchen machen auch optisch viel her, wie Jan Sommer von Nexus Farms betont: »Roter Amarant zum Beispiel sieht krass aus, wenn man den auf dem Teller hat.