Fünf Knöpfe und ein Schalter

Sam Gendel weiß, wie Jazz heute klingt, wenn man ihn produktiv hinter sich lässt

Sam Gendel hat das Zeug, zum neuen Enfant Terrible des Jazz zu werden. So radikal, ungebändigt und kreativ wie er Anfang 2020 die Hörerschaft mit »Satin Doll« schockierte, so etwas vernahm man doch selten in letzter Zeit. Der Saxofonist, der sich sonst im Umfeld des Coltrane-Neffen Flying Lotus aufhält, pflegt einen so eigenartigen Sound, dass die KritikerInnen kaum in Worte fassen konnten, was sie da vor sich hatten. Einerseits besteht das Album aus bekannten Standards der Jazz-Geschichte, andererseits bedient er sich eines Klangspektrums, das man, wenn überhaupt, aus dem Werkzeugkasten der US-(T)Rapper kannte.

Nun legt Gendel nochmal eine Schippe drauf und verabschiedet sich vom gerade erst etablierten Sound des letzten Albums. Wo eben noch der mehrfach harmonisierte Klang moderner Jazz-Kompositionen hallte, wartet der Neuling »DRM« nun mit weirdem Outsider-Pop/Rock/Soul/R’n’B auf. Lose abgesteckt findet die Platte zwischen Captain Beefheart, R Stevie Moore und Gary Wilson statt — alles angetrieben durch eine Drum-Maschine, eine Uralt-Nylonsaiten-Gitarre und Synthesizer-Exotika. Und einem Mikro — denn Gendel flüstert und murmelt sich durch die 14 Stücke von »DRM«, als gäbe es kein Morgen mehr.


»Satin Doll«, das erst Anfang des Jahres erschien, wurde als Konzeptplatte aufgefasst, die »das Cover« in den Mittelpunkt des Geschehens setzt. Unterminiert diese Lesart deinen musikalischen Ansatz?

Ich liebe es aus der Musik anderer Leute seltsame Lieder zu machen — also meine Version herauszuschälen. Das ist nicht neu: Viele Alben der Vergangenheit sind Sammlungen von Coverversionen. Wir nennen sie bloß nicht so, weil große Künstler sie zu »ihren« gemacht haben. Sie nehmen dich auf ihren eigenen Trip mit — und ich mache dasselbe. Das ist aber kein Konzept. Und deswegen kann mich das auch nicht unterminieren. Mich interessieren Annahmen über meine Musik eh wenig.

Aber dein neues Album kommt nur mit einem Cover aus?

Ist das nicht eine Art von Antwort? Ich mache das, weil ich eine Idee habe. Und ich fühle meine Musik. Ich hoffe, dass Leuten das gefällt. Der Rest ist egal — jeder nimmt etwas anderes mit.

Du hast aktuell sehr viel geändert: Sound, Set-up, Aufnahme. War der Vorgänger nur so etwas wie ein trojanisches Pferd, um jetzt deinen wah­ren Weg zu gehen?

Ach was: Alles nur Ideen, die ich irgendwann um­setze. Und diese Ideen passen nicht in Kategorien wie »Style« oder »Look« oder »Genre«. Also klar, die beiden Alben klingen unterschiedlich, aber ich finde das vor allen Dingen cool. Wäre es nicht schön, wenn mehr Leute einfach radikal ihrer Kreativität und ihrer Seltsamkeit freien Lauf lassen würden? Diese beiden Alben sollten unbedingt beide dieses Jahr erscheinen, das war Absicht. Ich wollte zeigen, dass wir als Menschen häufig gezwungen sind, uns kleiner zu machen und uns zu verstecken. Ich habe das satt. Alles nur vorgefertigte Pfade. Genauso wie die Idee, dass zwei Alben im selben Jahr ähnlich klingen müssen. Wo haben uns solche Modelle von Hyper-Organisiertheit hingebracht?

Der Titel »DRM« hat mich auf dem falschen Fuß erwischt. Ich dachte es sei ein Kommentar zum »Digitalen Rechte Management«. Aber es ist nach der 70er-Jahre-Drum-Maschine »DRM32« von Electro Harmonix benannt. War der rudimentäre Bauplan der Maschine wichtig für diese Platte?

Ein Laptop kann ein Fass ohne Boden sein, wohingegen diese Drum-Maschine mit fünf Knöpfen und einem Schalter auskommt. Wenn du deine geistige Lähmung loswerden möchtest, dann bediene dich Werkzeuge ohne große Optionen in der Anwendung. Das wird dich auf den Boden der Tatsachen zurückholen.

Ist es für einen Künstler, der mit großen Namen und in den besten Studios gearbeitet hat, besonders verführerisch, sich zu limitieren?

Limitierung ist kreative Freiheit. Mein Gehirn kann nur mit simplen Instrumenten umgehen. Häufig sind diese alt und waren rein-technisch nicht in der Lage mehr zu sein, als sie eben sind. Wenn man die großen Studios hat, voller großer Namen, dann hat man so viele Möglichkeiten, dass man doch einfach nicht weiß, wo man überhaupt beginnen soll … Die meisten Leute, die Selbst-Limitierung ausprobieren, merken, dass es ihnen besser geht.

Deine Stücke haben diese ver­schwom­mene Ästhetik, die klingt, als würden die Sounds schmelzen. Das verleiht ihnen einen traum­artigen Charakter. Diese Sounds kommen einem aus dem HipHop gleichwohl bekannt vor, wo diese »purple notes« (in Anlehnung an die »blue notes«) äußerst prägend gewesen sind. Wie wurden diese zu deiner »Weapon of Choice«?

Timbre, Tonalität, Intonation — ich arbeite generell ohne Raster oder Schub­laden. Nur weil »1+1=2« richtig ist, wissen wir noch lange nicht, was »1« und was »2« überhaupt bedeuten soll. Zwischen diesen beiden Zahlen gibt es unendlich viele ra­tionale Zahlen. Ich lehne die gesellschaftlichen Konventionen nicht ab, sie interessieren mich nur nicht, wenn ich Musik mache. Ich eliminiere diesen ganzen Müll ­währenddessen. Ich untersuche die unendliche Zahl an Möglich­keiten zwischen festgelegten Skalen und Tempi.  Warum gibt es eine Trennung zwischen »west­licher« und etwa indischer Musik? Seit Generationen zwingen wir uns, die Fluidität der Töne einzudämmen. Indische Musik hat erkannt, dass man zwischen den Tönen schweben kann. Doch alles begibt sich langsam in Auflösung. Trap Beats und Country-Gitarren, Ra­gas auf Steel Drums, androgyne Anziehsachen — ich bin dabei! Und möglichst viele Leute sollten dazu kommen.

Tonträger: Sam Gendel, »DRM« ­(Nonesuch)