Unheimlich real: Lena Watson

»The Trouble with Being Born« von Sandra Wollner

Sandra Wollners Androiden-Geschichte kommt unserer Realität allzu nahe

Am Anfang steht eine Art Geburt. Bild und Ton, zunächst als unkonturierte Zerfallsformen vorhanden — Glitches, Knistern, Klangwellen, Fetzen elektronischer Stimmen —, arbeiten sich durch eine Oberfläche hindurch und erblicken das Licht der Welt in der idyllischen Natur. In fluiden Bewegungen bahnt sich die subjektive Kamera einen Weg durch die Bäume, während eine helle Off-Stimme vom Zirpen der Grillen und dem Geruch feuchter Erde erzählt, und von Fingern, die im Wasser schrumpelig werden. Die Stimme gehört offensichtlich zu einem Mädchen, das kurz darauf ins Bild tritt. Mit seinem Vater verbringt es den heißen Sommertag am hauseigenen Swimmingpool.

Schon in den ersten Minuten von Sandra Wollners »The Trouble with Being Born« stimmt etwas nicht mit den Verhältnissen. Eine tiefe Lücke klafft zwischen dem Kind mit dem sonnengelben Badeanzug und der körperlosen Stimme, seinem leicht mechanischen Klang, und den so sensuell beschriebenen Wahrnehmungen. Es gibt im Film aber noch ein Verhältnis, an dem auf ganz anderer Ebene nichts stimmt: das zwischen »Papa« und Tochter.

Hauptfigur und Erzählerin der Geschichte, die die österreichische Filmemacherin zusammen mit Roderick Warich geschrieben hat, ist ein Android, der als Surrogat für verstorbene Personen in Besitz genommen und benutzt wird. Im ersten Teil des Films verkörpert er Elli, ein vor zehn Jahren verschwundenes Mädchen, das mit dem Vater im abgeschiedenen Einfamilienhaus ereignislose Tage verbringt. Bald zeigt sich, dass die Menschenähnlichkeit der Androidenfigur weniger unheimlich ist, als die an ihr ausgelebten Fantasien und Grenzüberschreitungen. Elli ist ein als Sexpuppe benutztes »Trostkind«, aber auch eine Art Gefäß, das mit Erinnerungen befüllt werden kann. Das gilt ebenso für Emil, Ellis Verkörperung im zweiten Teil des Films, diesmal ist sie Ersatzobjekt für den vor sechzig Jahren verstorbenen Bruder einer alten Frau. Elli und Emil sind aber mehr noch Spiegel: Ihr Handeln, Sprechen und »Denken« ist nichts anderes als eine Reflektion ihres Gegenübers. Selten war eine Androiden-Mensch-Beziehung so schrecklich einsam. Jedes Gespräch zwischen Georg und Ellie bzw. Anna und Emil ist ein Monolog, der sich mit jeder Wiederholung weiter aushöhlt.

Verstörende Schnittstellen ziehen sich aber auch durch die Textur des Films. So präzise und klar etwa die Bilder gestaltet sind, so opak und uneindeutig sind sie in ihrer Wirkung. In jedem Bild, das etwas zu enthüllen verspricht, scheint sich auch etwas Unsichtbares zu verbergen. In den wiederholten Kamerafahrten zeigt sich der selbst ziemlich wesenhafte Blick als eigentliche Instanz von »creepiness«. Genres und Erzählformen werden entgrenzt: Techno-Pädophilie, Wiedergänger-Erzählung, Dystopie, KI- und Verlustdrama fließen in »The Trouble with Being Born« zusammen, ohne jemals im Feld der Science-Fiction heimisch zu werden. Stattdessen lässt sich die Geschichte in einer wiedererkennbaren Gegenwart bzw. Nahzukunft verorten. Nicht nur der Androide ist dem Menschen ähnlich, auch die Realität des Films kommt der unseren nah.

Wie schon in Wollners Debut »Das unmögliche Bild« (2016) erweist sich die Erinnerung als eigentlicher Handlungsmotor. Jeder Moment ist ein Abrufen des jeweils letzten Bildes: ein Tag am Strand, ein gemeinsames Lied. Eine geteilte Gegenwart kann in dieser Gespensterrealität natürlich nicht stattfinden, auch weil es anders als in der klassischen Erzählung vom künstlichen Menschen — von »Pinocchio« über »A.I.« bis hin zu »Ex Machina« — keinen »Artensprung« in eine geteilte Humanität gibt, der die Verhältnisse neu sortieren würde. Als der Androide Ellie eines Nachts dem Plot seines realen Vorbilds folgend in den Wald aufbricht, ist das nur scheinbar ein Ausbruch.

Er landet einfach in der nächsten Erinnerungsschleife.

(dto) A/D 2020, R: Sandra Wollner
D: Dominik Warta, Ingrid Burkhard, Lena Wartson
94 Min.