»Fußball ist ein Bild der ­Gesellschaft in neunzig Minuten«

Christoph Hübner und Gabriele Voss haben zwanzig Jahre lang Fußball­profis von Borussia Dortmund mit der Kamera begleitet — was ist die Erkenntnis aus der Langzeitbeobachtung?

»Talent reicht nicht«, sagt Mohammed Abdulai in einer Szene Ihres aktuellen Films »Nachspiel«. Abdulai kam als hoffnungsvolles ghanaisches Fußballtalent zu Borussia Dortmund, heute arbeitet er als Linienbusfahrer. Hat er Recht mit seiner Analyse?

Hübner: Das ist eine zentrale Erkenntnis dieses Projekts — auch für uns. Als wir damit 1998 angefangen haben, habe ich die Trainer in Dortmund gefragt, wer denn die Talentiertesten seien. Weil ich dachte, dass Talent das Wichtigste ist. Aber schon bei dem ersten Film »Die Champions«, an dem wir drei Jahre gearbeitet haben, hat sich sehr bald gezeigt, dass Talent nicht alles ist. Sondern dass Charakter, Wille, Disziplin fast noch wichtiger sind. Auch eine Familie, die hinter einem steht. Das müssen manche sehr schmerzhaft erfahren, auch Mohammed, dass es nicht reicht, sich auf sein Talent zu verlassen.

Sehen Sie Ihre Filme »Die Champions«, »Halbzeit« und »Nachspiel« auch als eine filmische Betrachtung einer Leistungsgesellschaft oder nimmt Profifußball eine Sonderrolle ein, die sich nicht auf andere Bereiche anwenden lässt?

Hübner: Fußball ist ein Bild der Gesellschaft in neunzig Minuten. Es geht um Verlieren und Gewinnen, um Glück und Zufälle, um Verletzungen, um Karrieren. Das wird über unsere drei Filme und über die zwanzig Jahre auch immer deutlicher. »Nachspiel« ist wahrscheinlich der Film innerhalb unserer Trilogie, der am weitesten über den Fußball hinausweist, der zeigt, was Fußball mit Menschen macht und was Menschen mit ihm machen. Wir haben das Projekt aber nicht begonnen mit der Idee, Fußball als Symbol zu nehmen für etwas anderes. In Dokumentarfilmen ist es ja oft so, dass die Dinge, die man sich genauer anschaut, ihre Verallgemeinerungen ganz von selbst entwickeln. Am Anfang ging es nur darum, die Träume dieser jungen Menschen zu beschreiben und zu schauen, was daraus wird.

Voss: Christoph und ich haben unterschiedliche Affinitäten zum Fußball, und ich hatte schon den Gedanken, dass es das, was wir zeigen, auch in anderen Bereichen gibt — in der Musik oder der Forschung beispielsweise. Es geht ja schon auch um die Frage, welchen Preis man für seine Träume zahlt.

Sie enthalten sich im Film aller Kom­mentare und überlassen Einordnungen und Urteile den Zuschauern. War Ihnen diese Herangehensweise von Anfang an wichtig und klar?

Voss: Ich finde es immer interessanter, etwas für die Zuschauer offen zu lassen: Wer ist gescheitert? Wer hat gewonnen? Durch das Hinschauen und Hinhören eine eigene Erfahrung machen, dass ist uns bei unseren Arbeiten sehr wichtig.

Wie sieht Ihre Arbeitsteilung beim Filmemachen aus?

Hübner: Die Vorbereitung machen wir zusammen, das, was man Bucharbeit nennt. Die Regie beim Drehen mache dann meistens ich, Kamera auch. Die Regie bei der Montage hat dann meistens Gabriele.

Voss: Aber ich rede ihm manchmal bei der Regie beim Drehen rein und er mir bei der Regie bei der Montage (lacht). So viel zur Trennschärfe bei unserer Arbeitsteilung.

Was war eigentlich der Auslöser, sich filmisch mit Fußball zu beschäftigen?

Hübner: Ich bin Fan des Fußballs — und inzwischen auch der Borussia —, und wollte immer schon etwas über den Profifußball machen. Aber der erschien mir als sehr hermetisch. Eines Tages habe ich unseren Sohn vom Fußball abgeholt und dabei die anderen Eltern gesehen, die auch den Traum haben, dass ihr Kind mal ein Großer wird. Wie sich das dann entwickelt, das fand ich spannend und habe mir daraufhin Vereine mit sehr guter Jugendarbeit angeguckt, unter anderem auch in Bochum und Amsterdam, und mich dann für Dortmund entschieden. Auch weil dem damaligen Sportdirektor Ottmar Hitzfeld die Idee gut gefiel und er uns viele Türen geöffnet hat.

Borussia Dortmund ist ein börsennotiertes Großunternehmen, wie kooperativ verlief die Zusammen­arbeit, was durfte nicht gefilmt werden?

Hübner: Das war erstaunlich, denn in den letzten zwanzig Jahren hat sich der Fußball sehr verändert und auch Borussia Dortmund ist ein wirkliches Großunternehmen geworden. Trotzdem durften wir bis zum Schluss ziemlich offen drehen. Einmal waren wir bei einem Auswärtsspiel in Leverkusen mit der Kamera in der Kabine, da kam der Leverkusener Trainer und meinte: »Bei uns gäbe es das nicht!« Die Verantwortlichen beim BVB schätzen aber durchaus auch, was wir machen, und haben uns immer unterstützt. Die Premiere des zweiten Films fand sogar im Stadion statt, ohne dass das ja Werbefilme für den BVB sind. Ein Jugendtrainer erzählte mir, dass er seinen neuen Mannschaften immer am Anfang der Saison »Die Champions« zeige, um zu sagen: »Einfach wird’s nicht!«

Hatte der Verein ein Mitspracherecht, gab es eine Abnahme durch Verantwortliche von Borussia Dortmund?

Hübner: Nein, das war nie ein Thema. Ich glaube auch nicht, dass wir das gemacht hätten.

 

Christoph Hübner und Gabriele Voss (*beide 1948) arbeiten seit 1968 zusammen. Sie gehören zu den profiliertesten Dokumentarfilmern NRWs. In Filmen wie »Huckinger März« (1974), »Lebens-Geschichte des Bergarbeiters Alphons S.« (1978) und im »Prosper/Ebel«-Zyklus (1979-2003) haben sie sich immer wieder mit dem Ruhrgebiet ausein­andergesetzt.