Getrennt auch ohne Corona: Eva Green, Zélie Boulant

»Proxima« von Alice Winocour

Alice Winocour zeigt eine Astronautin, die mit der Vereinbarkeit von Kind und Beruf hadert

Einmal, in der Beinahe-Schwerelosigkeit eines Wannenbads, fragt die kleine Tochter ihre Mutter: »Stirbst du früher als ich?«, und die Mutter, eine Astronautin, antwortet, Eltern stürben nun einmal vor ihren Kindern: »Aber ich habe es nicht so bald vor.«

»Proxima«, und das ist das Problem, hat so einiges nicht so bald vor. Die Geschichte, die die französische Regisseurin Alice Winocour erzählt, dehnt sich in unendliche Weiten. Selbst als viele Trainingsstunden und Familientelefonate später der Countdown zur einjährigen ISS-Mission »Proxima« endlich in greifbarer Nähe scheint, haucht Sarah (Eva Green), sie habe so lange dafür trainiert, die Erde zu verlassen, und jetzt, wo es so weit sei, hänge sie am stärksten an ihr. Gemeint ist auch ihre Tochter Stella (Zélie Boulant).

Nun könnte gerade darin das Wagemutige dieses Films liegen: Kann man das Loslassen eines Kindes und das Verlassen der Erde vergleichen, ohne dabei ins Sentimentale zu rutschen? Nach »Augustine« (2012) über den Fall einer sogenannten Hysterikerin stellt Winocour wieder eine Frau in prekäre Beziehung zur Wissenschaft. Zwar ist diese hier nicht mehr deren Objekt, aber als Mutter entkommt Sarah den verinnerlichten Anrufungen — Sei perfekt in dieser Rolle! — selbst als Weltraumingenieurin nicht.

Immerhin werden diese beiden Anstrengungen durch die längliche Dramaturgie nachvollziehbar. Das Großziehen eines Kindes und die Vorbereitung auf eine Weltraummission sind beides keine Aufgaben, die ein Mensch mal eben so nebenher erfüllt. Wir sehen die zarte Sarah beim härtesten Training, ihr Körper wird vermessen und beschleunigt, sie muss sich sexistische Sprüche ihres Kollegen (Matt Dillon) anhören — alles kein Problem. Nicht einmal der Ex (Lars Eidinger) stört weiter, und auch eine aufkeimende Eifersucht auf Stellas Betreuerin (Sandra Hüller) eskaliert nicht. Aber dass ihre Tochter in der Schule schwächelt und keine Freunde findet, das stresst Sarah sehr.

»Proxima« heißt »die Nächste«. Das passt zur heimlichen Hauptfigur Stella. Boulant stellt ein Kind dar, wie es selten gezeigt wird: zurückhaltend, genau beobachtend, nicht immer und jederzeit lustig umhertobend. Während der Erwachsenen-Cast unter seinen Möglichkeiten verharrt und scheinbar wichtige Motive (eine Wunde, eine Katze) im Sande verlaufen, bündelt Boulant jederzeit die Aufmerksamkeit. So ein dem Kosmos zugewandtes Menschenwesen darf gerne »die Nächste« sein, die Großes wagt. In einem nächsten Film vielleicht.

Proxima (dto) F/D 2019, R: Alice Winocour, D: Eva Green, Lars Eidinger, Matt Dillon, 107 Min.