Besetzte Volksbühne 2017: Sechs Tage kollektive Intendanz, Foto: Jason Krüger

»So was von krank und kaputt«

Sarah Waterfeld, Mitglied des Künstler*innen-Kollektivs »Staub zu Glitzer«, über Systemrelevanz und Wirtschaftsverflechtungen an Theatern

Die Theater sind systemrelevant? »Für dieses System will ich nicht relevant sein«, sagt Sarah Waterfeld. Seit 2017 ist sie Mitglied des Künstler*innen-Kollektivs »Staub zu Glitzer«, das im selben Jahr die Besetzung der Berliner Volksbühne initiierte. In ihrer transmedialen Inszenierung »B6112« rief die Gruppe dazu auf, ein neues Theater-Modell bei laufendem Spielbetrieb zu entwickeln. Mehr als 3000 Menschen schlossen sich der Forderung an, mit dem Ziel einer kollektiven Intendanz. Der unfreiwillige, dramaturgische Höhepunkt nach sechs Tagen: Der damals amtierende Inten­dant Chris Dercon machte von seinem Hausrecht Gebrauch und be­en­dete die Inszenierung vorzeitig.

Sarah Waterfeld, von Ihnen wurde gerade ein Text veröffentlicht, in der Sie die Kulturszene als »so was von krank und kaputt« bezeichnen. Warum?

Im Kulturbetrieb herrscht Konkurrenz und Entsolidarisierung, verursacht durch unsere neoliberale Marktrealität. Ich kritisiere eine Kulturlandschaft, die nach den Regeln von Kapitalismus und Patriar­chat funktioniert. Das aus dem Opferkultischen hervorgegangene Theater war aber im Übrigen noch nie subversiv, es hatte immer eine konservierende Rolle — und mit seinen Wirtschaftsverflechtungen ist es heute in einer Weise »systemrelevant«, dass einem schlecht werden könnte.


Haben Sie Beispiele?

Klar! Das Ber­liner Ensemble lässt sich eine »Exzel­lenz-Reihe« von der Deutschen Bank finanzieren. Etwa Karin Breeces Stück »Auf der Straße«, für das »echte Wohnungslose« aufgefahren wurden, während unerwähnt blieb, dass die Deutsche Bank aufgrund ihrer brutalen Entmietungsstrategien in Los Angeles als »Slum­lord« gilt. Oder die Volksbühne und das Maxim-Gorki-Theater, die ein partnerschaftliches Verhältnis zu der Kulturstiftung der Allianz pflegen: Auch dort findet sich im Programm kein Hinweis, dass das Unternehmen seinen Reichtum maßgeblich durch die Shoah vermehrte. Es versicherte während des NS-Faschismus Gebäude und Personal der Vernichtungslager in Auschwitz und Dachau sowie Teile der NSDAP.

Gleichzeitig hat die Neue Rechte die Kultur als Kampffeld entdeckt und greift eben jene Häuser an.

Ja, das grundlegende Problem ist aber, dass sich die politische Stimmung insgesamt weit nach rechts verscho­ben hat. Die Neue Rechte betrachtet als »zu links«, was in meinen Augen schon rechtsreaktionär ist. Seit Beginn der Corona-Pandemie engagiert sich »Staub zu Glitzer« bei Bündniskundgebungen gegen Verschwörungsideologen, die bei ihren »Hygienedemos« im Frühjahr 2020 die Volksbühne für sich beanspruch­ten. Wissen Sie was fast zeitgleich geschah? Künstler*innen posteten Haus-Musicals auf YouTube, in de­nen sie über ihren 30-Quadratmeter-Luxus-Balkon tanzten, weil sie so empört über ihren Zwangsurlaub waren. Diese Egozentrik, ausgerechnet von Kulturschaffenden, die meinen, einen kritischen Mehrwert zu liefern, hat mich schockiert.


Dass Kunst und Kultur während des ersten Lockdown unter »Freizeit« verbucht wurde, ist doch ein nachvollziehbarer Streitpunkt.

Das mag schon sein — und doch finde ich es schlichtweg zynisch, im Kapitalismus auf die eigene Systemrelevanz zu pochen. Für dieses System will ich nicht relevant sein. Mich stößt das Gejammere vieler Kulturschaffenden ab: wie schwierig es sei, HartzIV-Formulare — völlig unverschuldet! — auszufüllen und wie ungerecht, dass Mitbewoh­ner*in­nen einbezogen werden. Für viele Menschen, auch Kulturschaffende, ist das seit Jahren Realität! Aber die Kulturelite, die meint, einen diskursiven Durchblick zu haben, während sie sich eben nicht mit outgesourcten Reinigungskräften solidarisiert und technischem Personal in den Vertrag schreibt, sie würden zu 51 Prozent künstlerisch arbeiten, um sie mit Künstler*in­nen-­Verträgen prekär beschäftigen zu können, kriegt das scheinbar erst jetzt mit.


Darüber wird seit Jahren diskutiert. 2019 hat Thomas Schmidt die Un­gleichheit innerhalb des Intendant*innenmodells mit einer repräsentativen Studie belegt.

Das stimmt, die Studie zeigt, wie häufig Übergriffe am Theater passieren. Schmidt argumentiert aber aus einer Marktlogik heraus und plädiert für Fundraising und Kulturbeauftragte in Konzernen. Seine Vorstellung von flachen Hierarchien kommt vom Effizienzdenken her. Unsere linke Forderung nach basisdemokratischen und feministischen Arbeitsgrundsätzen hat damit nichts zu tun.

Wie könnte es besser laufen?

Das Theater muss sich verändern. Während der Inszenierung »B6112« an der Volksbühne zeigte sich die kreative und politische Kraft, die in so einer Commoning-Situation freigesetzt wird: Für ein paar Tage wurde das Theater von einer Gemeinschaft getragen, von Miet-Initiativen, Menschen, die sich im Arbeitskampf befinden, von Künstler*innen — und von Menschen, die sich früher nicht ins Theater getraut haben. Ich glaube, das derzeitige Beharren auf der »Systemrelevanz« zeugt auch von der Angst, dass Theater könne seine gesellschaftliche Relevanz verlieren. Dazu kann ich nur sagen: ist schon passiert! Ein großer Teil der Bevölkerung war schon vor Corona von kultureller Partizipation ausgeschlossen