Kein Ad-on, sondern Pflicht: Inklusion am Theater, Foto: Lucie Ella

Warm-up im Rollstuhl

Die Unlabel Peforming Arts Company hat ein inklusives Praxishandbuch veröffentlicht

 

Ziemlich genau 25 Jahre ist es her, da sah sich der renommierte Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier ein Stück in den Münchener Kammerspielen an. »M«, die Medea-Version von George Tabori. Der im November 2020 verstorbene Schauspieler Peter Radtke, der darin den Sohn spielte, sei, so befand der Kritiker, »nicht rezensierbar«. Er befände sich aufgrund seiner Behinderung »außerhalb jeder Theaterkritik«.

Nun könnte man sagen, dass seitdem viel Zeit vergangen und die Welt heute eine andere ist. Doch leider stimmt das nur bedingt. In Sachen Inklusion hängen Theater wie viele andere Kultur- und Bildungseinrichtung hinter. »Ensembles, in denen Menschen mit und ohne Behinderungen arbeiten, fehlt noch immer die Sichtbarkeit«, sagt auch Lisette Reuter, Mitbegründerin des internationalen Netzwerkes Unlabel Performing Arts Company. Seit 2015 setzt sich die Gruppe für den Abbau von Barrieren am Theater ein und entwickelt inklusive Möglichkeiten für die darstellenden Künste. »Es geht nicht nur um eine künstlerische Repräsentanz, wir sind gesetzlich dazu verpflichtet«, sagt Lisette Reuter und meint die Behindertenrechtskonvention der UN, die ein Großteil der EU-Staaten am 30. März 2007 unterzeichnet haben. »Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen, gleichberechtigt mit anderen am kulturellen Leben teilzunehmen«, heißt es darin.

Doch wie kann die Arbeit mit Mixed-Abled Künstler*innen konkret aussehen? In einem Praxishandbuch hat die Unlable Performing Arts Company nun Methoden zusammengefasst: eine Rhythmusübung mit gehörlosen Menschen? Ein Warm-up im Rollstuhl? Praxisorientiert und in einfacher Sprache stellen die Künstler*innen Tools vor, in denen unsichtbare Bälle gefangen, Choreografien aus drei Posen entwickelt werden oder man sich vorstellt, die Beschaffenheit des Bodens würde sich verändern. Das klingt mitunter simpel, doch: »Uns war wichtig, dass Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen eine Übung gemeinsam machen können.« Dafür wurde viel getestet, Methoden aussortiert und neu erfunden. Wissenschaftlich unterstützt hat das Projekt die Technische Universität Dortmund.

Ändern müsse sich künftig die finanzielle Förderung für inklusive Projekte, sagt Lisette Reuter zum Schluss noch. Denn für Barrierefreiheit ist noch immer kein extra Budget vorgesehen, die damit verbundenen Kosten werden nicht eigens honoriert. »Produktionen, die inklusiv arbeiten, bekommen genau dasselbe Geld, wie die nicht-inklusiven.« Die Umsetzung des Inklusionsgesetzes wird damit zur Minusrechnung.