Kathrin Röggla

Kunst hat nichts damit zu tun, Recht zu haben

Kathrin Röggla schreibt über Politik, hat aber keine Lust auf Propaganda. Seit diesem Semester ist sie Professorin an der Kunsthochschule für Medien. Was sie ihren Studierenden beibringen möchte und warum politische Kunst nichts mit Moral zu tun hat, erklärt sie im Interview

 

Frau Röggla, Sie schreiben Romane, Essays und Theater­stücke und produzieren Hörspiele. Seit diesem Semester sind Sie auch noch Professorin für Literarisches Schreiben an der Kunsthochschule für Medien (KHM). Wie kommt man von einem zum anderen?

Das hat sich so ergeben. Ich habe immer wieder an Kunsthochschulen unterrichtet und Workshops gegeben. Und als Vizepräsidentin der Akademie der Künste in Berlin war ich mehrere Jahre in einer Institution tätig, wo es neben Kulturpolitik auch um künstlerische Forschung ging. Dort dachte ich: Ich würde jetzt gerne noch mal neu ansetzen und das hier versuchen. Mit der KHM verband ich erst einmal zwei Namen: den Medientheoretiker Siegfried Zielinski, bei dem ich studiert habe. Und die Mitgründerin der KHM, die Regisseurin Jeanine Meerapfel, mit der ich an der Akademie der Künste gearbeitet habe. 


Welches literarische Schreiben lernt man denn an einer Kunsthochschule?

Man lernt, in unterschiedlichen Gattungen und Medien zu arbeiten. Schreiben muss nicht im Buch münden, ich habe ja selbst lange als Theaterautorin gearbeitet. Ich setze aber auch aufs Hörspiel, weil wir an der KHM fast einmalige Bedingungen haben mit den Studios. Und natürlich unterrichte ich auch Prosa.


Ein Thema, das Sie in ihrer Prosa schon in den Nullerjahren aufgegriffen haben, ist die Prekarität im Kulturbetrieb. Wie bereiten Sie Ihre Studierenden jetzt, in der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit, darauf vor?

Ich habe 28 Jahre Selbstständigkeit hinter mir und mir mein Geld immer selbst verdienen müssen — mit experimenteller Literatur. Ich weiß, wovon ich rede (lacht). Ich glaube, ich kann gut erklären, wie man eine berufliche Existenz aufbaut. Das ist mir ein Anliegen. Im Moment gibt es zum Beispiel Möglichkeiten im Bereich Hörspiel und Audio im Allgemeinen, also auch Podcasts. Da hilft uns die räumliche Nähe zum WDR. Beim Theater muss man abwarten. Das ist im Moment sehr von der Krise betroffen, aber auch da entstehen neue literaturaffine Formen. Die Printliteratur ist vielleicht nicht ganz so stark betroffen wie andere Bereiche, auch wenn da die Verkaufszahlen für Literatur jenseits des Mainstreams heruntergehen.

Was möchten Sie Ihren Studierenden ästhetisch mitgeben?

Dass sie sich ins Verhältnis setzen. Schreiben ist immer auch Welterkundung, und die ist ein sehr heikler Vorgang, eine Verwicklung, kein reiner Informationsvorgang. Ich möchte gerne bewusst machen, dass der Umgang mit Wirklichkeit oft aus sich widersprechenden Sichtweisen, unterschiedlichen Erzählweisen, Fragmenten und Perspektiven besteht. Und wenn dabei der uns allen innewohnende Sinn für Ironie und Komik gefördert würde, wäre ich sicher sehr glücklich.


Die fragmentierte Sicht auf Wirklichkeit steht auch im Mittelpunkt Ihres gerade erschienenen Essays »Bauernkriegspanorama«. Darin betrachten Sie ein Panoramagemälde aus der Spätphase der DDR und fragen sich, wie so ein Bild heute, in Zeiten des Rechtsrucks in Deutschland aussehen könnte.

Das »Bauernkriegspanorama« ist eine Auftrags­arbeit von Willi Tübke, die 1987 fertiggestellt wurde. Mein Text ist eine verzweifelt-ironische Antwort . Das alles ist nicht lange her, aber für uns heute unvorstellbar. Mein Panorama ahmt den Gestus des Welttheaters der Renaissance nach, was natürlich nicht gelingen kann. Aber wenn man sich diesen Anspruch wegnehmen lässt und wir uns in diese totale Zersplitterung der Gesellschaft begeben, dann haben wir ein Problem, gerade in Zeiten des Rechtsrucks. Wir müssen also auf etwas beharren, das eigentlich unmöglich ist.


Welche literarischen Mittel sind denn geeignet, um politisch über die Gegenwart zu schreiben?

Das lässt sich schwer pauschal sagen, weil es sehr auf Thema und Stoff ankommt. Über den Klimawandel und Fragen des Anthropozäns würde ich anders schreiben als zu einem Gerichtsverfahren wie dem NSU-Prozess.


Über den NSU-Prozess haben Sie im Januar gemeinsam mit dem WDR und dem BR das Hörspiel »Verfahren« produziert.

Ich habe mich viel damit beschäftigt — ein Theaterstück, das dann leider wegen der Coronakrise nicht zur Uraufführung gelangt ist, ist entstanden, und es wird auch noch ein Buch geben. Ich habe im Prozess eher die Nebenklage begleitet und war dafür etwa ein Dutzend Mal in München beim Oberlandesgericht. In Berlin habe ich eine Veranstaltung an der Akademie der Künste gemacht und in Köln 2017 das Tribunal »NSU-Komplex auflösen« besucht.


Bei diesem Tribunal wurde eine Anklageschrift vorgelegt, in der Personen aus dem NSU-Komplex wie in einer Gerichtsverhandlung symbolisch angeklagt wurden, weil sie den NSU ermöglicht oder vielleicht sogar aktiv befördert haben. In Ihrem Hörspiel stehen dagegen die Stimmen aus dem Gericht, dem anklagenden Justizapparat und der Nebenklage nebeneinander.

Es ist immer ein wenig schwierig, wenn die Literatur zu sehr in Dienst genommen wird. Beim NSU-Prozess war der Druck recht hoch, logischerweise ging es erst einmal darum, die Opfer beziehungsweise die Überlebenden sprechen zu lassen. Ich kenne viele künstlerische Arbeiten, die das getan haben. Mich hat aber die ­Justiz als Apparat interessiert, welche Mecha­nismen stehen ihm hier zur Verfügung, sowie die Frage, was das für ein Leerlauf war. Gerade weil mich die Perspektive der Überlebenden und Angehörigen interessiert, habe ich mich schriftstellerisch dafür entschieden, die juristische Macht, der sie sich real gegenübersahen, ernst zu nehmen.


Trotzdem ist »Verfahren« ja nicht frei von Positionierung. Ich habe den Prozess auch etwas verfolgt und der Grundkonflikt zwischen der Nebenklage, die den NSU-Komplex in seiner Breite aufstellen wollte, und dem Gericht, das den Täterkreis des NSU mit bürokratischen Einwänden kleingehalten hat, wird schon durch die Stimmlage der Prot­ago­nist*innen im Hörspiel deutlich.

Mich hat Jean Rouchs Film »Les maîtres fous« beeinflusst, ein ethnografischer Dokumentarfilm, in dem Kolonisierte in einem Ritus die Herrschaftsgesten imitieren. So ähnlich wollte ich das für das Gericht tun, wo meist über die »Deklassierten«  geurteilt wird und der Staat sich immer selbst am meisten schützt — wie in diesem Fall. Wie kann ich das im Hörspiel und Theater zeigen, wo Gerichtsthemen meist als Genre gezeigt werden? Gerichtskrimis affimieren ja das System Gericht über die Form, in der sie geschrieben sind. Genreliteratur tarnt sich als realistisch, sie behauptet, das Geschehen frei­zulegen. Ich wollte aber wahrhaft realistisch berichten, es gab ja den realen Prozess, den ich nur durch einen Ritus dekonstruieren konnte, von der Zuschauerbank aus.


Mir ist aufgefallen, dass im Moment politische Fragen wie diese besonders stark an Kunsthochschulen thematisiert werden. Wie kommt das?

Kunsthochschulen sind Orte, wo Zusammenhänge hergestellt werden. Es geht um die verschiedenen Ebenen: Wer agiert? Wer repräsentiert? Welche politischen Akteure sind da? Kunst geht da über das einzelne Kunstwerk hinaus und erweitert permanent ihre Grenzen: Sie sucht Kontakte in die Zivilgesellschaft, zu Expert*innen, etwa Jurist*innen. Natürlich gibt es auch eine Moralisierung. Aber das ist nicht unbedingt das, was ich unter politisch verstehe.


Was ist denn das Problem mit Moral?

Sie sucht nicht unbedingt den politischen Hebel, den man setzen kann, um etwas zu verändern, und droht in der Rhetorik zurückzubleiben. Sie gefällt sich sehr oft darin, richtigzuliegen, und Kunst hat nichts damit zu tun, Recht zu haben.


Kathrin Röggla (49) schreibt Prosa, Theaterstücke und Hörspiele. Ihre Arbeiten sind medienüber­greifend angelegt, sie greift darin oft Themen der Zeitgeschichte auf. Für ihren Essay »Bauernkriegs­panorama« erhielt sie 2020 den Wortmeldungen-­Literaturpreis für kritische Kurztexte. Der Essay ist im Verbrecher Verlag erschienen.