Tag und Nacht

Der Corona-Winter verschärft das Leid wohnungs­loser Menschen — die Politik will nun handeln

Fehlende Tagesstruktur, kaum noch Einnahmen durch Flaschensammeln und Betteln, soziale Isolation: Die Pandemie verschärft die Lage wohnungsloser Menschen. Zudem fürchten viele, sich in Gemeinschaftsunterkünften anzustecken. Und nun noch der Winter. Die Zahl der Wohnungslosen steigt seit Jahren. In Köln gelten rund 7000 Menschen als obdachlos, auf der Straße leben schätzungsweise einige Hundert. Die Pandemie beschleunigt diese Entwicklung. In Köln stieg 2020 die Zahl der Arbeitslosen sogar noch stärker als im Bundesdurchschnitt. Immer mehr Menschen sind auf Unterstützung angewiesen.

Um nicht zu erfrieren, sich aber auch vor Infektionen zu schützen, braucht es im Winter-Shutdown  Räume, in denen sich Wohnungslose sicher aufhalten können. Berlin mietet seit dem ersten Shutdown zusätzliche Plätze in leerstehenden Hotels und Pensionen an, in Hamburg können sich Wohnungslose in unbespielten Clubs aufwärmen. Und Köln?

Gerade beschloss der Sozialausschuss einstimmig, dass die Hotelzimmer und andere Unterkünfte nicht nur über Nacht, sondern auch tagsüber bereitstehen sollen, vorerst bis Ende März. Der Antrag von Grünen, CDU und Volt zielt darauf, mehr Einzelzimmer anzubieten. »Während Menschen mit Wohnung die vorgegebenen Kontaktbeschränkungen gut einhalten können, kann Covid-19 für Obdachlose lebensgefährlich sein, da die Mehrheit der Hochrisikogruppe angehört und Kontaktreduzierungen in Notschlafstätten kaum möglich sind«, begründet Marion Heuser, sozialpolitische Sprecherin der Grünen, den Antrag. Mehr Schlafplätze, sogenannte Kältegange in der Nacht, um Obdachlose vor dem Erfrieren zu bewahren, Einsatz von Streetworkern, ein Wärmezelt am Stollwerck sowie eine Shuttle-Busverbindung zur neuen Notschlafstelle in Merheim — diese bisherige Winterhilfe ging vielen nicht weit genug.

Bereits im Mai vergangenen Jahres stellte die Linke den Antrag, die Stadt möge Obdachlose in Hotelzimmern unterbringen, um das Abstandhalten zu ermöglichen. Damals betonten unter anderem Grüne, CDU und FDP, es gebe genug Hilfsangebote, und lehnten den Antrag ab. Linken-Politiker Jörg Detjen kritisiert, dass der Beschluss nun viel zu spät komme. »Wir brauchen jetzt noch mehr kurzfristige Maßnahmen, um sofort zu helfen«, sagt Detjen. Er denkt daran, mit dem Deutschen Jugendherbergswerk Gespräche zu führen oder städtische Gebäude zu nutzen. Ein Vorbild könnte der Verein »Helping Hands Cologne« sein: Er mietet 34 Zimmer im Hostel Pathpoint am Hauptbahnhof an.

Andreas Hupke, grüner Bezirksbürgermeister der Innenstadt, kritisiert, dass vor allem für die wachsende Zahl Wohnungsloser aus osteuropäischen Ländern Konzepte fehlen. Diese haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen. »Sie sind zum Teil sehr weit abgehängt, das müssen wir mit mehr Sozialarbeit in den Griff bekommen.« Die »Notunterkunft für Humanitäre Hilfen« an der Vorgebirgsstraße nennt Hupke zwar ein »kleines Leuchtturmprojekt, das einen Funken von Humanismus transportiere«. Dennoch nehme die Not zu — auch durch fehlende Jobs etwa im Hotel- und Gaststättengewerbe in der Pandemie. »Das ist absoluter Sprengstoff und fliegt uns um die Ohren, wenn wir wegschauen«, sagt Hupke. »Das ist Wasser auf die Mühlen der Rechten.« Er erinnert an die katastrophalen Zustände auf dem Flüchtlingsschiff »Transit« Anfang des Jahrtausends: »Wir hatten damals weggeschaut und bei der nächsten Wahl hatte Pro Köln prompt 15 Prozent.«

Nicht alle Träger der Hilfsangebote stimmen in diese Kritik ein. »Wir waren in der Winterhilfe noch nie so gut aufgestellt wie dieses Jahr«, sagt Monika Kleine, Geschäftsführerin beim Sozialdienst Katholischer Frauen (SKF). Corona sei ein Motor für neue Angebote gewesen. Markus Peters, ihr Pendant beim Sozialdienst Katholischer Männer (SKM), der das Wärmezelt am Stollwerck und die neue Unterkunft für 60 Menschen in Merheim verantwortet, fordert »mehr Langfristigkeit«. Peters sagt: »Das Ziel muss sein, grundsätzlich mehr Wohnraum zu schaffen. Dass die Stadt ihre Wohnungsbauziele absenkt, geht im Windschatten der jetzigen Diskussion gar nicht!« Seit 2016 fordert der SKM eine Quotierung für öffentlich geförderten Wohnraum. »Wenn nicht verbindlich festlegt wird, dass man zumindest mal fünf Prozent der Sozialwohnungen für besondere Zielgruppen wie wohnungslose, straffällig gewordene oder psychisch kranke Menschen bereithält, sorgt man nicht für eine nachhaltige Lösung.« In der Stadtverwaltung fehle es sozialen Themen oft an Durchschlagskraft, so Peters. »Die Sozialverwaltung verfügt in Köln, wo das größte soziale Problem mangelnder Wohnraum ist, nicht über ausreichend Ressourcen, um die Probleme grundsätzlich lösen zu können.« Monika Kleine vom SKF hofft, dass die in jedem Winter aufkommende Debatte dazu beitrage, die Lage zu verbessern. »Aber ich fürchte, dass die Zuspitzungen und Schuldzuweisungen jetzt dem Thema eher schaden, weil wir ein Strukturproblem lösen müssen, das dahinter steckt.«