Bücherwand ohne Hochkulturgestus: Ror Wolf, Foto: dpa

Form und Inhalt auf Kollisionskurs

Ein posthum erschienener Band würdigt das lyrische Werk von Ror Wolf

»Was ich will, ist eine Literatur, deren Grundstimmung ein Komplott ist aus Leichtigkeit, Schwermut, Spiel, Ernst, Skurrilität, Lust, Spaß und Entsetzen.« So hat Ror Wolf sein Schreiben zusammengefasst. Der 1920 geborene Wolf, der in den 50er Jahren bei Adorno Soziologie studierte, hat diese Poetik, die sich dem Pathos der Avantgarde ebenso verweigerte wie Ansprüchen bürgerlicher Kultur, bis zu seinem Tod im Februar 2020 stets weiter verfeinert, auch in Texten und Hörspielen zum Fußball, denn: »Die Welt ist zwar kein Fußball, aber im Fußball findet sich eine ganze Menge Welt.« Zum Werk zählen neben Romanen zwischen Krimi, Nouveau Roman und Phantastik auch Collagen in der Tradition von Max Ernst sowie Gedichte, von denen Michael Lentz die posthume Auswahl »Alles andre: ungewiß« zusammengestellt hat.

Darin findet sich ein Querschnitt des lyrischen Schaffens von Ror Wolf, vom Frühwerk über seine großen Gedichtzyklen um die Kunstfigur Hans Waldmann bis hn zu den späten autobiografischen Texten. Trotz Leichtigkeit und Verspieltheit der Verse sind sie streng komponiert, es finden sich Sonette, Terzinen, Lyrik in der Tradition des Manierismus, des Barock. Die skurrile Größe von Wolfs Kunst zeigt sich im Zusammenprall von Form und Inhalt, etwa im lyrischen Rezept »gefüllter truthahn mit mischgemüse« von 1959: »gedämpft gemüse gar gestellt/ geschnitten hunger ach geschrei/ geschmelzt gebuttert einerlei/ denn leser: dieses ist die welt«.

Auch im Spätwerk findet sich die Spannung zwischen Form und Inhalt, dann gepaart mit schonungslosem autobiografischen Blick: »Im November nachts Zweitausend­eins/ lag ich nackt und aufgeschlitzt in Mainz/ tief im Blut und alle Tropfe tropften/ die Kanülen, die Katheter klopften/ alles floß hinein in das Plumeau/ und man sagt zu mir: das ist halt so«.

Die Gedichte werden gerahmt von zahlreichen Collagen des Autors. Ein reiner Gedichtband als Ausdruck bürgerlicher Hochkultur wäre Ror Wolfs Poetik nicht gerecht geworden. »Der Mensch: Er lebt so lange bis er stirbt« heißt es in einem Gedicht von 2002. Das Werk von Ror Wolf lebt glücklicherweise ­weiter.

Ror Wolf: »Alles andre: ungewiß — Gedichte«
herausgegeben von Michael Lentz
Schöffling & Co., 222 Seiten, 26 Euro