Stammgast wider Willen

Wir alle vermissen die Restaurantbesuche, klar. Aber was daran genau?

Mittlerweile ist der Shutdown Alltag. Die erste Empörung darüber ist überwiegend der Einsicht gewichen, dass es im Angesicht der Pandemie nicht anders geht. Nach dem ersten Ideen-Feuerwerk, das die cleversten Gastwirte zündeten, ist die gastronomische Innovation aber verpufft. Kochboxen hin, Social-Media-Aktionismus her. Gastronomie lebt nicht von Online-Bestellungen und Likes, sondern von Gästen. Die haben mit ihren Solidaritätsadressen im Shutdown die Branche zwar in den Rang der Hochkultur befördert. Doch dass dies zu einem tieferen Verständnis für Ernährung, Kulinarik, Tischkultur führt, ist unwahrscheinlich. Weshalb? Weil das, was den Gästen nun fehlt, nicht zuvorderst raffinierte Tellergerichte sind, sondern die Atmosphäre: jene Mischung aus cooler Anonymität und physischer Nähe, die eine typisch großstädtische Geselligkeit darstellt und das Bedürfnis nach Ereignis und Abwechslung befriedigt. Es ist wie bei anderen kulturellen Veranstaltungen auch, wie im Theater, im Club, auf der Vernissage. Es geht immer auch um das Drumherum, das Sehen und Gesehen-werden. Mit einem Restaurantbesuch versichert man sich eben auch seines Status, zumal, wenn man anschließend seine Fotos von Bowls und Bier postet. Ein nervöses Hobby, das jetzt auch schwierig weiterzuverfolgen ist.

Die Schließung der Restaurants wirft uns Gäste, wuchtig gesprochen, auf uns selbst zurück. Dort begegnen wir nur allzu oft der Langeweile, auch gustatorisch. Was kann man tun? Wie macht man den eigenen Haushalt zu seinem Restaurant? Zum einen, in dem man sich an Rezepten versucht, die einen so überraschen, wie die Karte im Lieblingslokal. Zum anderen, indem man einen Sinn für Form entwickelt — auch der Restaurantbesuch ist ja wesentlich von Ritualen und sozialen Codes bestimmt. Ein gedeckter Tisch, der über das Funktionale hinausgeht, ist ein Anfang. Es gibt das Bild des einzelnen Menschen, der für sich selbst den Tisch deckt und sich zur Mahlzeit umzieht. Es ist ein Bild, das verzweifelt und trostlos wirken soll. Tatsächlich jedoch zeigt es einen stolzen Trotz. Und ein solches Home-Restaurant, in dem wir Stammgäste wider Willen sind, hat einen weiteren Vorteil: Man muss nicht digital reservieren und wird nachher nicht auch noch genötigt, eine Bewertung abzugeben.