Notizen im Filmecho: Pandemie-Pläne eines Filmverleihs, Foto: Jürgen Lütz

»Wir hängen in der Luft«

Von den Kino-Schließungen sind auch die Verleihe hart betroffen. Filmstarts müssen immer wieder verschoben werden, Einnahmen fehlen. Wie ist die Lage der Branche?

Begonnen hatte das Jahr 2020 für Stephan Holl, Geschäftsführer von Rapid Eye Movies, verheißungsvoll: mit der gelungenen Premiere von »Orphea«, einer Zusammenarbeit zwischen Alexander Kluge und dem philippinischen Filmemacher Khavn De La Cruz auf der Berlinale im Rahmen der Sektion »Encounters«. »Wir haben damals euphorisch gefeiert, da hat noch keiner einen Gedanken an Corona verschwendet«, erinnert sich Holl. Nur dass De La Cruz bereits mit Maske aus Manila angereist war, mag im Nachhinein als Vorbote dessen gelten, was kommen sollte. »Zwei Wochen später wurde der Lockdown verhängt und unser Betrieb kam aus voller Fahrt zum Stillstand«, so Holl. »Für ’Orphea’ etwa hatten wir Anfragen von 20 weiteren Festivals vorliegen, die aber alle nicht mehr stattgefunden haben.«

In der Lieferkette der Filmwirtschaft bilden Verleihe wie Rapid Eye Movies aus Köln das Zwischenglied zwischen denjenigen, die Filme produzieren und denen, die sie zeigen.  Damit waren auch sie unmittelbar von der Schließung der Kinos im März vergangenen Jahres betroffen. Weitere in Köln ansässige Verleiher berichten von ähnlichen Erfahrungen. »Die Schließung hieß für uns nicht nur, dass wir von einem auf den anderen Tag keine Einnahmen mehr hatten. Sie bedeutete auch, dass unsere Investitionen fürs Marketing für Filme, die im Frühjahr hätten starten sollen, ins Leere liefen«. Das sagt Joachim Kühn, Geschäftsführer des auf Dokumentarfilme spezialisierten Filmverleihs Real Fiction. Auch für Stephan Winkler, der mit seinem Arthouse-Label W-Film 2020 das 20-jährige Jubiläum hatte feiern wollen, war der Lockdown ein Schock. »Wir generieren 70 bis 80 Prozent unserer Umsätze über das Kino. Da muss man überlegen, wie man mit so einer Situation umgeht«, erklärt er. Jürgen Lütz betreibt neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer des Odeon im Alleingang den Verleih Film Kino Text. Im Februar hatte er noch »Varda par Agnés« herausgebracht. »Da dachte man doch, das ganze wäre in vier oder sechs Wochen überstanden«, erinnert sich Lütz.

An staatlichen Hilfen konnten die Verleiher ausschließlich die 9000 Euro der Corona-Soforthilfe in Anspruch nehmen. »Natürlich nur ein kleiner Klecks angesichts unserer laufenden Kosten«, betont Winckler. Rapid Eye Movies, die ebenfalls die Soforthilfe beantragten, sahen sich mit dem gleichen Problem konfrontiert. Holl: »Wir sind in ein kleineres Büro umgezogen, um so weit wie möglich zu schrumpfen. Für andere Fördermöglichkeiten konnten wir uns als Verleih ja nicht qualifizieren, da wir neben dem Kino zumindest theoretisch andere Möglichkeiten haben, Einnahmen zu generieren — wie den DVD-Verkauf.« Joachim Kühn sah sich bei Real Fiction ebenfalls mit einem alten Dilemma der Filmverleihe konfrontiert. »Wir hatten Schwierigkeiten durchzusetzen, als unmittelbar Betroffene betrachtet zu werden. Im Gegensatz zu Kinos, die als Kulturstätten gelten, werden wir als Wirtschaftsbetriebe gesehen — obwohl wir ja ebenso Kulturanbieter sind und uns auch so definieren.« Die zwischenzeitliche Wiedereröffnung der Kinos im Sommer sorgte für Linderung. Sie stellte aber lediglich einen Tropfen auf den heißen Stein dar. »Wenn die Kinos nur 30 Prozent ihrer Plätze verkaufen können, haben eben auch wir nur 30 Prozent Umsatz«, bringt es Kühn auf den Punkt.

Jetzt im zweiten Lockdown wird deutlich, dass für eine Branche, die ihre Veröffentlichungen weit im Voraus plant, vor allem die Unwägbarkeit ein zentrales Problem darstellt. »Es gibt keine Planungssicherheit, wir hängen total in der Luft«, sagt Winckler. »Wir hätten im November einen Start gehabt, den wir dann zunächst auf Januar verschoben haben, jetzt auf Anfang März — aber ob das etwas wird, ist schon wieder zweifelhaft.« Holl hingegen plant den nächsten Kinostart mit »vorsichtigem Optimismus« für kommenden Juni.

Selbst wenn der Kinobetrieb irgendwann wieder losgeht, rechnen die Verleiher nicht damit, dass sich die Lage schnell normalisiert. »Im Schnitt kommen in einem Monat etwa 50 Filme ins Kino, bei drei Monaten Lockdown sind es also bereits 150 Filme, die sich aufgestaut haben und nachher um die Leinwände konkurrieren werden«, rechnet Kühn vor. Auch schätzen die Befragten, dass die Kinobetreiber bei Wiedereröffnung auf Nummer sicher gehen. »Die werden dann eher James Bond zeigen als einen riskanten Arthouse-Film«, meint Winckler.

Passend zu den Veränderungen in der Filmbranche, die im großen Rahmen von der Pandemie befeuert wurden, experimentieren die Kölner Verleiher mit digitalen Vertriebswegen. W-Film etwa hatte bereits im Mai die Doku »Germans and Jews« auf einem eigenen Video-on-Demand-Kanal rein digital veröffentlicht — gestreamte Premiere inklusive. Auch Real Fiction hatte im vergangenen Jahr einige Filme über Streamingplattformen veröffentlicht. »Das bleibt allerdings eine Verlegenheitslösung und ist kein Ersatz für eine Kinoauswertung«, ist sich Kühn sicher. »Ein Kinostart ist nicht nur viel rentabler, sondern auch entscheidend für die Sichtbarkeit eines Films.«

Nicht nur aus finanziellen Gründen werden die Verleiher daher nach der Pandemie weiter auf das Kino fokussiert bleiben. »Kino ist ein Ort der Begegnung und möglicherweise werden die Leute das hinterher sogar noch mehr zu schätzen wissen, weil sie die Schnauze voll davon haben, auf der Couch zu sitzen«, meint Winckler zuversichtlich. Und Lütz stellt klar: »Filme gucken kann man inzwischen überall, aber Filme erleben — das geht nur im Kino«.

Die aktuellen Programme und Repertoires der Verleihe:

rapideyemovies.de, realfictionfilme.de, filmkinotext.de, wfilm.de