Von Cartoons und Phantomen

Sarah Szczesny ist diesjährige Stipendiatin der Villa Aurora in Los Angeles

»Hinsichtlich welcher hohen Zahlen? Der in Köln?«, Sarah Szczesny wirkt fast schon erzürnt als ich tatsächlich versuche, die Corona-Infek­tions-Lage in Kalifornien gegen jene hier auszuspielen. Als sei die Lage in Deutschland nicht genauso miserabel wie in den USA.

Für die Kölner Malerin ist Kalifornien kein zufällig gewählter Bezugspunkt: Szczesny ist diesjährige Stipendiatin der Villa Aurora — dem ehemaligen Wohnhaus Lion Feuchtwangers, das heute eines der wichtigsten deutschsprachigen Residenzprogramme beheimatet.

Im dritten Quartal ist es soweit, die Arbeit hat schon jetzt begonnen. Sie habe im Dezember eine Edition für den Kunstsalon Köln, der auch das Stipendium mitvergeben hat, fertig gestellt. Der Name: An Invisible History. »Die neun Prints sind den bislang nicht genug beachteten Pionierinnen der Animationsgeschichte wie Mary Blair, Retta Scott und Bianca Majolie gewidmet, deren Arbeit die frühen Jahre der kalifornischen Disney Fabrik maßgeblich geprägt haben«, erklärt Szczesny. Dies ist dennoch nicht das einzige Projekt für dieses Jahr, denn sie hat einiges geplant für das Nach-Corona-Jahr (hoffentlich), das damit Anschluss sucht an ihr ereignisreiches Jahr 2019.

2019 liegt gefühlt Jahrzehnte zurück. Du hattest eine viel beachtete Ausstellung im Neuen Aachener Kunstverein mit dem Namen »Pastel Succubus«. Dort konnte man die Formenvielfalt deiner Arbeit erkennen: Gemälde, Collagen, Loop-Projektionen. Ich habe mich danach gefragt, ob du die Malerei als Form eigentlich affirmierst — oder ihr misstraust. Ich bin absolut in der Malerei verankert, mein Zugang zu anderen Medien ist immer davon beeinflusst. Allerdings misstraue ich bestimmten Rezeptionen und Auffassungen von Malerei. Klischees, die von einer bestimmten Generation Maler-Männern stammen, unter denen ich aufgewachsen bin und die mich eingegrenzt haben. Ergänzend zu den hängenden Malereien waren fünf unbearbeitete Leinwände im Raum installiert, auf denen Video-Loops projiziert wurden. Videos, die unter anderem auch die Genese der Bilder erzählen — animierte Malerei, eigentlich Cartoons. Für mich sind bestimmte Disney-Zeichnerinnen wichtiger als Malerei-Professoren, die während meines Studiums an der Düssel­dorfer Akademie lehrten. Jedes der fünf Videos hat seinen eigenen Sound, zusammen ergaben diese im Raum einen Soundteppich. Es gab kein ausstellungstypisch einheitliches Licht für die Bilder an der Wand, sondern es wurde durch das einfallende Tageslicht und die Projektionen bestimmt. Dieses »Schichten« hat für mich auch mit Malerei zu tun.

Ebenso 2019 residierte das Phantom Kino Ballett im Kunstverein Düsseldorf. Diese Kooperation von dir und Lena Willikens, die vornehmlich im Musikbereich rezipiert wird, changiert ja ebenso stark zwischen malerischen Gesten, Sound- und Videocollage und Performance.

Wie kam es eigentlich dazu und wie würdest du dies einordnen? Das Phantom Kino Ballett ist ein morphendes Wesen. Es ist ein für immer unabgeschlossenes Werk, an dem Lena und ich fortwährend arbeiten. Das Werk ist nicht einer bestimmten Welt zugeordnet, wie auch wir es nicht sind. Es taucht divers auf; im Kunstkontext, im Musik und Clubkontext. Das ist auf unsere hybriden Hintergründen und Interessen zurückzuführen. Für uns ist es trotzdem etwas sehr spezifisch Greifbares, das aus unserem Dialog entsteht. Es fing 2015, als Lena ihre erste Maxi veröffentlichte und ich das Cover dazu entwarf. Wir hatten einfach Lust, eine Video-Serie zu jedem ihrer Tracks zu produzieren. Dabei haben wir uns vor allem an unserem amateurhaften Zugang zu Video erfreut. In unserem gemeinsamen (Größen-)Wahn haben wir dann auf Grundlage dieser »Phantom Delia Video Serie« ein einstündiges experimentelles Video zu einem Hörspielartigen Mix weitergesponnen und »Phantom Kino Ballett« betitelt.

Der Online-Ausstellungsraum »Cabinet of Kaput« hat ja einen Relaunch 2020 erfahren. Magst du erzählen, was dahintersteckt? Und speziell etwas über das außergewöhnliche Format sagen? Die Kunstsektion auf dem Kaput Magazin wurde 2015 von Alexander Wissel, Peter Abs und mir ins Leben gerufen. Das säulenartige Format kommt aus der digitalen Angewohnheit eine Website herunter zu scrollen, also wie ein langgestrecktes DINA-4-Format. »C of K« hat dann eine Zeitlang pausiert — und ich bin sehr glücklich, dass 2020 Sabine Schiffer mit mir als Partnerin das Projekt wieder aktiviert hat. Es ist mir wichtig, dort trotz Pandemie mit internationalen Kolleg:in­nen in Kontakt treten zu können und zu sehen, was sie aus dem Format machen. Zuletzt haben wir angefangen, an einem physischen Transfer der Beiträge in Stoff zu arbeiten. Es klingt vielleicht zunächst absurd, das Digitale wieder in das Haptische zu transformieren, aber wir dachten es könnte gerade (in diesem Jahr) interessant sein, aus dem digitalen Format wiederum ein Objekt zu entwickeln, das als Panel an der Wand hängen und gleichzeitig am Körper getragen und berührt werden kann.

Auch wenn das vielleicht schwierig ist, ob der ganzen Unwägbarkeiten: Was sind denn abseits von der Residenz die Pläne für 2021? Seit letztem Jahr arbeiten Lena und ich an einem Release für das Londoner Label Utter. Ein Artefakt zu unseren Performances, die in Zusammenarbeit mit Detlef Weinrich und Viktoria Wehrmeister in Düsseldorf und in Aachen aufgeführt wurden. Die Vinyl-Veröffentlichung ist Teil eines Künstlerbuchs mit Risografie-Drucken. Gerade stelle ich außerdem ein Cover-Artwork für die Musikerin KOPY fertig, die ich in Japan kennenlernen durfte. Es ist das zweite Plattencover, welches ich auf Einladung von Stefan Schneider für sein Label Tal mache. Ich hoffe sehr, dass Kopys geplante Deutschland-Tournee zu dieser Platte diesen Sommer realisiert werden kann und ich dann zu ihrem Auftritt tanzen darf. Das habe ich mir für dieses Jahr vorgenommen: mehr zu tanzen.

Jungekunstfreunde

Atelierbesuch bei Sarah Szczesny, Freitag, 26. März 2021, 17.30 Uhr (eventuell nur per Stream/Zoom)