Unter Beobachtung: Theresia Philipp, Foto: Lukas Diller

Mit Weitsicht

Die Kölner Saxofonistin Theresia Philipp über ihren eigenen Weg zwischen den Traditionen

»Ich hoffe, ich bin hier keinem auf den Schlips getreten«, Theresia Philipp scheint ein wenig beunruhigt ob ihres Interviews, das wir gerade auf dem Hof der Feuer­wache bei äußerst ungemütlichen Außentemperaturen geführt hatten. Man könnte sich fragen, ob diese Vorsicht unnötig sei oder doch berechtigt. Denn Philipp ist eine weibliche Jazz-Instrumentalistin und davon gibt es immer noch recht wenige — und damit steht sie sogleich auch unter besonderer Beobachtung: von Mitmusike­r*in­nen, Szenemenschen, Förderinstitutionen.

Es bleibt dem Interviewer nichts übrig, außer zu beschwichtigen. Heikel war keine ihrer Aussagen, aber erfrischend ehrlich und direkt. So etwa, wenn sie Köln und dem Westen der Republik eine gewisse Rückständigkeit hinsichtlich des Gleichberechtigung bei der Musikförderung und -erziehung attestiert. »Was das Thema anbelangt, ist der Osten immer noch viel weiter. Der berufliche Werdegang ist dort viel weniger bestimmt durch das eigene Geschlecht; das kann man auch an mir sehen. Es war in Sachsen viel normaler, dass Mädels und Jungs zusammen Musik lernen und spielen.«

Philipp ist 1991 in Großröhrsdorf in Sachsen geboren, begann mit sieben Keyboard zu spielen, wechselte mit zehn zum Saxofon und spielte fortan im Spielmannszug — mit allem Drum und Dran: »Es gab richtige Marschformationen, mit Figuren und Mustern, wie man es aus dem Fernsehen kennt.« In der achten Klasse zog es sie an das höchst renommierte Sächsische Landesgymnasium für Musik Carl Maria von Weber in Dresden — ein Konservatorium in der Tradition der DDR-Musikschulen inklusive Internat. Harmonielehre, Klavier, Saxofon und natürlich der klassische Abiturstoff: ein ganz schöner Drill, der sich aber auszahlen sollte. Zwischen 2007 und 2011 gehörte sie zum LandesJugend­JazzOrchester Sachsen, danach zum BundesJazzOrchester (BuJazzO).

Zum Studium kam sie nach Köln; an die Hochschule für Musik und Tanz. Sie ist eine feste Größe in der Szene der Stadt, spielte schon in etlichen Formationen und mit alle möglichen Kolleg*innen. Das bescherte ihr dieses Jahr das »Horst und Gretl Will«-Stipendium für Improvisierte Musik und Jazz der Stadt Köln womit sie Koryphäen des Fachs wie Hayden Chisholm oder Philip Zoubek beerbt. So heißt es denn auch in der Begründung: »Theresia Philipp bewegt sich kompositorisch mittlerweile souverän in verschiedenen Epochen und Stilformen; ihr aktuelles Projekt verbindet orthodoxe Kirchenmusik mit westeuropäischer Alter Musik und zeitgenössischer improvisierter und komponierter Neuer Musik, ohne dass diese vier Welten sich dabei im Wege stehen.«

Dieses aktuelle Projekt heißt »Pollon with Strings« und erschien jünsgt auf dem Label Float. Während Pollon ein eingespieltes Trio aus Philipp, Thomas Sauerborn und David Helm darstellt, konfrontiert sie diese Einheit mit einem Streichertrio aus Elisabeth Coudoux, Radek Stawarz, den man aus dem Rundfunk Tanzorchester kennt, und Axel Lindner. »Ich setzte hier voll auf die musikalische Weitsicht und das Improvisationsvermögen der Musiker*innen. Ich wollte möglichst einen Bandsound vermeiden«, resümiert sie die Arbeit an dem Projekt. Trotz seiner herausragenden Rolle nur eines unter vielen, denn daneben spielt sie auch Saxofon und Klarinette für die Band BÖRT mit der sie dieses Jahr beim Moers.Festival auftrat. Dazu erscheint dieser Tage das Album »Losing Color« des Trios Philipp / Sauerborn / Dumoulin auf dem Kölner klaeng-Label.

Dementsprechend zwiespältig fällt ihr Blick auf die letzten zwölf Monate zurück: »Natürlich war das ein schwieriges Jahr für alle. Wo ich normalerweise 60 bis 100 Konzerte spiele, waren es diesmal vielleicht die Hälfte. Dafür gab mir das Stipendium die Zeit und die Möglichkeit, Musik zu entwickeln und mein eigenes Solo-Konzert im Stadtgarten zu vorzubereiten. Ich weiß, dass ich mich in einer privilegierten Position befinde.« Während sie nämlich mit Förderungen und dem Stipendium gut durch die Krise gekommen wäre, hätte es befreundete Musiker*innen in anderen Bundesländern durchaus hart getroffen. »Das ist einer der vielen Vorteile einer Stadt wie Köln. Die (Förderungs-)Möglichkeiten sind , obwohl die Stadt im Vergleich mit Zentren wie London eben kleiner ist, hier vorhanden und es gab zum Beispiel ganz tolle Projekte unter freiem Himmel, die auch während Corona Konzerte ermöglichten.« Philipp meint auch, dass Köln im Vergleich mit der Hauptstadt gar nicht so schlecht abschneide: »Im Gegensatz zu Berlin wirkt Köln vielleicht nicht ganz so metropolistisch. Man kann das aber auch positiv ausdrücken: Köln ist familiärer.«

Trotz der Erfolge, die die Saxofonistin feiert, muss man festhalten, dass sie immer noch eine der ganz wenigen Instrumentalistinnen im Betrieb ist: In der 2016 vorgelegten Studie der Deutschen Jazz Union konnte man die Situation erstmals schwarz-auf-weiß analysiert erkennen: Ja, es gibt nur 11 Prozent Frauen an Instrumenten; ja, denen wird der Zugang zu gutbezahlten Stellen verstellt; ja, wir versagen schon bei der musikalischen Früherziehung. Philipp kennt diese Situation nur zu gut: »Es gab sehr lange keine weiblichen Vorbilder für mich. Zwar kannte ich die Niederländerin Candy Dulfer, aber die ging in eine andere Richtung. Erst mit 15 oder 16 erfuhr ich von Karolina Strassmayer, die auch in der WDR Big Band spielte. Ich fuhr daraufhin aus Dresden nach Köln, um bei ihr Unterricht nehmen zu können.«

Man müsse noch sehr viel besser aufarbeiten, wie die Jazz-Geschichte durch Frauen geprägt worden sei, fordert sie. Sie selbst arbeitet gerade an einem Projekt (»Es steckt noch in den Kinderschuhen«) für das sie Texte von Frauenrechtlerinnen und intersektionaler Aktivistinnen in Musik transkribiert. Also keine Vorsicht, wir hören weiter gerne von Theresia Philipp.

Info: theresiaphilipp.de