Vom Bloggen zur Block Party

Mit »Isles« legen Bicep ihr hochenergetisches zweites Album vor

Dass es das Belfaster Duo Bicep mal zum Headliner-Akt auf Festivals bringen würde, hätten sich die beiden DJs beim Start ihres Underground-Blogs 2008 nie träumen lassen. Die beiden Kindheits-Freunde Matt McBriar und Andy Ferguson haben sich schon sehr früh gemeinsam die Nächte im Belfaster Underground-Club Shine um die Ohren geschlagen. Dort schulten sie ihre Ohren am energetischen Sound von Italo Disco, House und Electro. Diese oft Emotions-geladenen Hymnen ihrer Jugend gruben sie später mit überraschender Stilsicherheit aus der Platten-Mottenkiste hervor und stellten ihre Funde auf der eigenen Blog-Plattform »Feel My Bicep« zur Schau.

Das schlug in Underground-Kreisen schnell Wellen, DJ-Kollegen machten die Seite zum Szene-Favoriten für Geheimwaffen in ihren Sets, und bald freuten sich über 100.000 Besucher monatlich über die oft vergessenen Perlen der elektronischen Musikgeschichte.

Auf diesem Vertrauen fußend schafften es Muskelmänner mit »Feel My Bicep« direkt zu erfolgreichen Veröffentlichungen auf dem eigenen sowie befreundeten Labels. Diese Maxis orientierten sich hauptsächlich am euphorischen Oldschool-House der 90er und gingen ziemlich heftig zur Sache. Es folgten Clubnächte und schon bald der Umzug von Belfast nach London. Einige Jahre und unzählige DJ-Gigs später kam plötzlich der unerwartete Durchbruch in den Mainstream: Ninja Tune, das Traditionslabel für vorwärtsgewandte, farbenfrohe Electronica mit Popappeal, nahmen Bicep 2017 für ihr selbstbetiteltes Debüt-Album unter Vertrag.

Der darauf vertretene, emotionale Breakbeat-Track »Glue« war unbestrittener Track des Jahres, lief auf jedem Festival und in den Clubs rauf und runter. Und er sollte Blaupause stehen für einen neuen Bicep-Sound. Weg vom muskelstrotzenden, die Vergangenheit zelebrierenden Oldschool-House, hin zum nostalgischen Breakbeat-Pathos. Damit schafften sie es, die euphorische Stimmung früher Morgenstunden einzufangen und in ein knackiges, zeitgemäßes Rhythmusgewand zu stecken. Die gebrochenen Beats waren der perfekte Unterbau für die schwungvollen Synthmelodien — ein simples wie effektives Hitrezept.

An die Formel knüpft nun auch das zweite Album »Isles« an. Der Titel bezieht sich auf die Herkunft der beiden Produktionspartner, und wieder schöpfen beide aus den Reminiszenzen an die Vergangenheit. So bietet ein Durchlauf von »Isles« zwar wenige Überraschungen — wieder sind es Breakbeats, Vocal-Schnipsel und dicke Synthschwaden in unterschiedlicher Abmischung —, genau deshalb wird die Platte wohl erfolgreicher als der Vorgänger. Denn selbst Plattenkenner können vor der Authentizität der beiden Bicep-Platten-Digger kaum die Nase rümpfen — und Festival-Neulinge sind der emotionalen Effektivität ihrer Musik ohnehin gnadenlos ausgeliefert.

Denn Bicep verstecken weder sich noch die Emotionalität ihrer Tracks, balancieren gekonnt zwischen Verwundbarkeit und Kitsch. Ihre Beats klatschen präzise platziert und holpern zwar oldschoolig anmutend, sind jedoch mit modernster Technik fabriziert und richtig knackig ausproduziert worden. McBrair und Ferguson haben sich auf dem zweiten Album deutlich mehr Zeit zum Polieren ihrer Tracks genommen. Was früher oft eine Jamsession war, die es noch mit minimalen Bearbeitungen auf die Platte schaffte, wurden die Stücke diesmal zum Reifen liegen gelassen und erst Monate später ergänzt und fertig gestellt. Manche der Tracks änderten somit plötzlich ihren Charakter und wurden vom beatlosen Ambient-Stück zum treiben Drumtrack. Auch für die Vocals waren die beiden Produzenten einfallsreich und sampleten zum Beispiel für die Leadsingle »Apricots« 1958 aufgenommene malawische Stammes-Gesänge oder auch den bulgarischen Frauen-Rundfunkchor.

Das in ihren Tracks so wichtige organische Element bleibt somit stets frisch, während sich die übrigen Bausteine in Sachen Tempo, Arrangement und Klangfarbe — mal düster, mal heller, aber stets melancholisch-euphorisch —  abwechseln. Bemerkenswert auch, dass Bicep für alle Stücke bereits Live-Versionen für eine geplante Tour vorbereitet haben. Für den Fall einer weiter anhaltenden Corona-Zwangspause haben die Künstler ebenfalls ein Konzept in der Tasche: schon im September streamten sie erfolgreich ein Online-Konzert gegen Eintritt. Ende Februar soll die Ausstrahlung mit aktuellem Material und Remixen bereits veröffentlichter Stücke sowie einer aufwändigen visuellen Show stattfinden.

Wer Bicep seit ihren Blogger-Tagen nicht mehr gehört hat, mag sich über die gänzliche Abwesenheit altgedienter Club-Banger auf dem neuen Album wundern. Die Geschichte von Anfang bis Ende verfolgend zeigt sich allerdings eine erfreuliche, individuelle Entwicklung von energetischem Hi-NRG hin zu hochemotionaler Musik, die — falls 2021 endlich wieder gefeiert werden darf — überall zu hören sein wird. Ihre Mischung aus großen Emotionen und der nötigen Prise Dancefloor-Tauglichkeit könnte bereits eine der wichtigsten Alben des Jahres werden.