So schön wird‘s nie wieder: Demo gegen das NRW-Polizeigesetz 2018, Foto: johempel.com

Hufeisentheorie in der Praxis

Die NRW-Landesregierung plant ein neues ­Versammlungsgesetz. Jetzt regt sich Protest

Seit 2006 können die Bundesländer eigene Versammlungsgesetze verabschieden. Zuvor galt ein Bundesgesetz, das noch aus den 50er Jahren stammt. Doch Gebrauch von der neuen Gesetzgebungskompetenz haben längst nicht alle Länder gemacht. Wenn doch, so führten die neuen Gesetze selten zu mehr Versammlungsfreiheit. Eine Ausnahme bildet das rot-rot-grüne Berlin. Dort wurde Mitte Februar ein Gesetz verabschiedet, das etwa die Polizei zur Deeskalation verpflichtet und in dem das Vermummungsverbot gelockert wurde. Das Gegenteil plant jetzt die schwarz-gelbe NRW-Landes­regierung.

Mitte Januar wurde ein Entwurf aus dem Innenministerium von Herbert Reul (CDU) veröffentlicht. Er begründet sein Vorhaben unter andererm damit, in Zukunft besser gegen Neonazis vorgehen zu können. Doch der Entwurf enthält Verschärfungen, die es künftig grundsätzlich schwieriger machen könnten, Versammlungen durchzuführen. Eine der fragwürdigsten Neuerungen ist das »Militanzverbot«. Es soll das Verbot von Uniformen ablösen und »Gewaltbereitschschaft« vermittelnde oder »einschüchternd« wirkende Versammlungen verbieten. Zur Begründung verweist das Innenministerium ebenso auf SS- und SA-Verbände in der Weimarer Republik wie auf den Schwarzen Block »linksradikaler Störer und Täter« oder die weißen Overalls von Demonstranten gegen den Kohleabbau im Rheinischen Revier.

Fabian Embrich, Sprecher der Kölner Linksjugend, sieht darin eine Gleichstellung von Overalls mit Uniformen der Nazis. Damit mache die Landesregierung auf »unsägliche Weise von der sogenannten Extremismustheorie Gebrauch«, sagt Embrich.  Auch andere Punkte des Gesetzentwurfs stoßen auf die Kritik von Kölner Jugendverbänden. Nicola Dichant, Sprecherin der Grünen Jugend, sieht ein enormes »Missbrauchspotenzial« darin, dass die Polizei künftig Ordner*innen als »ungeeignet« ansehen und deswegen ganze Versammlungen verbieten kann. Außerdem kritisiert Nicola Dichant das neue »Störungsverbot«, das Störungen, Behinderungen oder Verhinderungen von angemeldeten Versammlungen unter Strafe stellt. »Wer zukünftig mit ›Köln stellt sich quer‹ Nazis blockiert, kann sich strafbar machen!«, so die Sprecherin der Grünen Jugend.

Der Düsseldorfer Anwalt Jasper Prigge sieht in dem Gesetzentwurf »massive Grundrechtseingriffe«. Fest macht Prigge das unter anderem am Ausbau von Kamera-Überwachung und der »Kriminalisierung von Blockadetrainings«. In den vergangenen Jahren vertrat Prigge immer wieder Anmelder von Demonstrationen vor Gericht und erzielte dabei Erfolge. Zuletzt kippte Prigge ein mit den Corona-Schutzmaßnahmen begründetes Demonstrationsverbot an Silvester. Für den Anwalt kommt im Gesetzentwurf zum Ausdruck, dass »Versammlungen vor allem als Gefahr gesehen werden«. Sie seien jedoch ein »elementares Recht, und der Staat sollte Beschränkungen auf das absolut Notwendige reduzieren«, findet er. Ein »freiheitliches« Versammlungsgesetz müsse Anmelder von Demonstrationen und Behörden als »Partner« und nicht als Gegner aufassen, so Prigge. Auch das Recht, in Hör- und Sichtweite Gegendemonstrationen durchzuführen oder dass der »freie Zugang zu Versammlungen gewährleistet werden müsse«, berücksichtige der Gesetzentwurf nicht, kritisiert er.

Bis das neue Versammlungsgesetz in Kraft tritt, werden noch einige Monate vergehen. Debatten im Landtag und Ausschusssitzungen  stehen an. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen haben angekündigt, sich gegen das Gesetz mit Klagen vor Gericht zu wehren — und mit Demonstrationen.