Foto: © WDR / Ben Knabe

Die Reform-Hitparade

Die Kulturwelle WDR 3 soll gefälliger werden. Dagegen regt sich Protest

 

Die Namen unter der Petition »Literaturkürzung im WDR stoppen« lesen sich wie ein Who is Who der Kölner Literaturszene. Die für mehrere ARD-Hörfunkwellen arbeitende Buchrezensentin Insa Wilke etwa, die den Offenen Brief initiiert hat, war einst Leiterin des Literaturhauses Köln; Guy Helminger lädt seit 15 Jahren gemeinsam mit Navid Kermani zum Literarischen Salon in den Stadtgarten ein.

Anlass der Protests ist die Entscheidung des WDR, die werktägliche Literaturrezension in »Mosaik«, dem Morgenmagazin der Kulturwelle WDR 3, abzusetzen. Guy Helminger spricht gegenüber der Stadtrevue von einer »Demontage der Literaturkritik«. Mit diesem Akt werde »nicht nur eine ganze Branche massiv geschädigt, sondern auch klar demonstriert, wie wenig den Verantwortlichen Literatur wert ist. Dabei ist Literatur ein Instrument des gesellschaftlichen, auch politischen Diskurses.« Die Unterzeichner verweisen darauf, dass pro Jahr nun »um die 250 Bücher weniger besprochen werden«. Viele Verlage kämen bei WDR 3 dann gar nicht mehr vor.

Die Hierarchen des WDR reagierten verstimmt auf die öffentliche Diskussion, die zunächst vor allem die Süddeutsche Zeitung befeuerte. In einem Interview, das der WDR auf seiner Website veröffentlichte, entgegnete zum Beispiel WDR-3-Wellenchef Matthias Kremin den Kritikern der Entscheidung, dass »die Auseinandersetzung mit Literatur« im Programm künftig »abwechslungsreicher, innovativer und vielfältiger« sein werde. Für Guy Helminger fallen solche Versprechungen in die Kategorie »verbrämende Rhetorik«.

Ausläufer der Debatte zeigen zudem, dass im WDR ein recht rüder Ton herrscht. Valerie Weber, Programmdirektorin NRW, Wissen und Kultur und zuständig für die sechs Hörfunkwellen des Senders, stellte in einem Newsletter an die Mitarbeiter*innen des WDR einen »einzelnen Kulturredakteur« an den Pranger. Er hatte die freien Rezensent*innen auf die Honorareinbußen vorbereitet. Der Redakteur, so Weber, habe dem WDR »Schaden« zugefügt.

Irritierend ist auch der Ton im Umgang mit den freien Autor*innen. In einer Mail an die bisher für »Mosaik« tätigen Rezensent*innen schreibt Matthias Kremin, er würde sich freuen, »wenn Sie WDR 3 auch weiterhin mit viel spannendem Input, kreativen Umsetzungsformen und selbstverständlich auch Buchrezensionen bei seiner Weiterentwicklung als aktuelles Kulturradio in und für NRW begleiten«. ­Christoph Fleischmann, Moderator bei WDR 5, merkte in seinem Blog dazu an, dass Journalisten, die Inhalte liefern, mehr tun, als das Programm begleiten.

Die Formulierung »begleiten« ist nicht untypisch für Verfechter des Wohlfühlradios. Dass es bei WDR 3 in diese Richtung geht, zeigt nicht nur die Abschaffung der Rezensionen im »Mosaik«-Magazin, sondern auch die Umgestaltung des Musikprogramms. Unter Berufung auf die Ergebnisse einer Online-Studie, die nach Einschätzung des Klassik-Magazins »VAN« nicht seriös konzipiert wirkt, wollen die Verantwortlichen morgens einen gefälligeren Sound anbieten. Gesang jeder Art sei künftig verpönt, egal ob Chormusik, Oper oder Operette, und auch Jazz hat keine Zukunft mehr im Morgenprogramm.

Matthias Kremin sagte gegenüber dem »VAN«-Magazin: Wenn man gute Musik nur als Mittel zur Distinktion verwende, nach dem Motto »wir haben einen tollen Geschmack«, bekomme »der Hörer das Gefühl, ’Ich weiß nicht, wie ich da reinkomme’«. Der Wellenchef malt das wenig vorteilhafte Bild eines Publikums, dem Neugier fremd ist.

Ein Indikator dafür, wohin die Reise bei WDR 3 hingehen soll, ist die vom WDR so genannte »größte Klassik-Hitparade in Nordrhein-Westfalen«. Anfang März soll sie laufen — mit jeweils 33 Stücken pro Tag. Fürs Mitmachen bei der »Hitparade« hat der Sender massiv geworben — möglicherweise auch deshalb, weil die Hörer*innenschaft der Kulturwelle bisher wenig Gefallen an Aktionen wie Verlosungen oder Hitparaden gefunden hat. Offensichtlich versucht der WDR gerade, seine Kulturwelle WDR 3 zu einem Programm umzumodeln, das tendenziell jedem gefallen soll, aber bloß nicht seinen kulturinteressierten Hörer*innen.